Technologische Neuerungen

Die Reaktion auf technische Neuerungen folgt in Medien und Privatleben ähnlich vorgezeichneten Bahnen. Das erste, noch ganz reflexhafte Zusammenzucken ist das »What the hell is it good for?« (Argument eins), mit dem der IBM-Ingenieur Robert Lloyd 1968 den Mikroprozessor willkommen hieß. Schon Praktiken und Techniken, die nur eine Variante des Bekannten darstellen – wie die elektrische Schreibmaschine als Nachfolgerin der mechanischen –, stoßen in der Kulturkritikbranche auf Widerwillen. Noch schwerer haben es Neuerungen, die wie das Telefon oder das Internet ein weitgehend neues Feld eröffnen. Wenn es zum Zeitpunkt der Entstehung des Lebens schon Kulturkritiker gegeben hätte, hätten sie missmutig in ihre Magazine geschrieben: »Leben – what is it good for? Es ging doch bisher auch so.«

(Kathrin Passig im Online-Merkur)

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Bei uns ist noch nicht heraus, ob wir Deppen sind, fest steht, wir würden’s nicht merken, wenn es so wäre. Und es könnte, zum Beispiel, wirklich sein, daß Powerpoint auf eine ganz bestimmt Art doof macht; auf den Gedanken kann man schon kommen. Wenn aber alle in der Oberstufe einmal durch die PPT-Mühle durch sind, bleibe bloß ich übrig, der’s noch merkt, und die Passig, immer auf Seiten des Fortschritts, macht sich über mich alten Trottel lustig. Das würde mir gefallen, ich gebe es zu.[…]

Das Netz bringt zwar kaum Kultur hervor, die geeignet wäre, mich zu fesseln, ist aber hervorragend geeignet, mir Zugang zu den ausgezeichneten Kulturprodukten der vorangegangenen Generation zu verschaffen. Dazu kriege ich, als zeitgenössische Hervorbringung, jeweils einen Wikipediaartikel von einem Rudel siebzehnjähriger Trolle jedweden Alters, die sich erkennbar mitten im Absatz gegenseitig ins Wort fallen, weil immer jemand zur Stelle ist, der ein noch größeres Maß an kleinkariertem Wichtigtuertum in einen noch alberneren Satz packen kann.

(Quelle: Vigilien; Link von mir)

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Fortschrittspositivisten & Zukunftsfeinde


Stephensons Adler
Stephensons "Adler" - in Farbe
und im Zeichen der Elektrifizierung
(Bild: Wikipedia)

Wenn neue Technologien auftauchen, kann man regelmäßig dabei zusehen, wie zwei konträre Positionen aufeinander prallen: jene, die besagt, alles, was neu ist, müsse prinzipiell auch gut sein[1], und die andere, die ebenso grundsätzlich darauf beharrt, eine neue Sache könne nur schlechter sein als die, die sie ersetzt[2]. Beide Gruppen haben gute Argumente, und wenn man sie anhört, kann man gar nicht damit aufhören, bestätigend mit dem Kopf zu nicken. Man kann, um den Zank zu versöhnen, sich aus beiden Lagern die besten Argumente picken, und etwa die Meinung vertreten, daß z.B. die Erfindung der Eisenbahn, des Computers oder des Internets ja jeweils durchaus interessante Dinge ermöglichen, obwohl diese Einsicht keinesfalls mit dem Wunsch einher gehen muß, gleich von Anfang dabei zu sein[3]. Man kann aber auch die Frage stellen, warum diese Debatte ständig wieder auftaucht, obwohl sie, bei näherem Hinsehen, weniger über die Sache, sondern eher etwas über die Diskutanten besagt.

Die Fortschrittsoptimisten stellen sich auf den Standpunkt des „Jetzt“, gucken zurück und sehen, daß es schon früher technologische Entwicklungen gegeben hat, die anfangs angefeindet wurden, sich später aber nachhaltig durchgesetzt haben – mehr noch: je wichtiger eine Erfindung war, desto heftiger war anfangs der Widerstand. Daraus ziehen sie dann den Schluß, daß sich dies auch bei den momentan unter Beschuß stehenden Neuigkeiten so verhalten wird, und prognostizieren munter in die Zukunft. Sie vergessen dabei, daß jede Zukunftsprognose noch immer daneben lag. Man kann aus dem Heute nicht auf das Morgen schließen, weil man dann immer nur das Bestehende verlängert. Man kann allenfalls eine Zunahme der Quantitäten annehmen, aber nicht das Umschlagen einer Entwicklung in eine neue Qualität antizipieren. Letzteres ist aber entscheidend: eine neue Erfindung verändert immer auch ihre Erfinder. Eine Welt, die global durch die Eisenbahn vernetzt wird, ist komplett anders strukturiert, als sie ein Zeitgenosse 1835 prognostizieren könnte – der kann sich nicht über seine Zeit erheben, sondern verbleibt allenfalls bei der Vorstellung einer Zukunft, die über besonders schnelle Postkutschen verfügt. Nicht anders geht es jenen, die heute der Meinung sind, Twitter sei die Zukunft der SMS. Etc.

Die Konservativen übersehen denselben Zusammenhang aus anderen Gründen. Zunächst ist ihnen jede Dynamik per se verdächtig, weil es aus ihrer Sicht ja in erster Linie darum geht, Bewährtes zu erhalten. Neue Erfindungen scheinen ihnen notorisch in Konkurrenz zum Bestehenden zu treten, weil das, was wirklich neu ist, für sie nur auf dem Hintergrund der Tradition sichtbar wird. Das Neue ist eine Bedrohung, weil es das Alte zu verdrängen scheint. Tatsächlich jedoch schiebt sich das Neue stets neben das Alte; mehr noch: selbst der rückwärts gerichtete Blick verändert sich ständig. Geschichte schreibt sich immer neu. Das Bild, das wir von der Welt unserer Großeltern haben, unterscheidet sich deutlich von jenem, das unsere Eltern von ihr hatten. Der Blick der wilhelminischen Zeit auf Stephensons Adler (Deutschlands erster Dampflok) ist geprägt von einer Welt, in der die Dampfmaschine Alltag war, und hat mit unserem nostalgischen Blick auf dieselbe Maschine nicht das Geringste zu tun. Ähnliches gilt für den heutigen, von der Erfahrung mit Computern freien Rückblick der Journalisten alter Schule auf die Druckerpressen noch der 70er Jahre. Etc.

Der zweite, nicht weniger entscheidende Punkt ist die Rolle, die für beide Standpunkte Urteile über Werte spielen. Die Ablehnung von technischen Neuerungen ist von einer energischen Bewertung der (befürchteten oder tatsächlich eingetretenen) Folgen begleitet. Fortschritt sei falsch, weil er positiv bewertete Sachverhalte vernichte, und dem nichts gleichermaßen Wertvolles entgegenzusetzen habe. Lokomotiven produzieren nur Ruß und verdrecken Kleidung und Augen der Reisenden, Computer sind eh unbrauchbar, und das Internet bringt eine Massenkultur ohne Sinn hervor und verdrängt jede vernünftige Stimme. Umgekehrt spielt für die Fraktion der Fortschrittsgläubigen „Wert“ kaum eine Rolle, wenn er nicht geradezu verlacht wird. Wertende Zuordnungen werden dann marginal, wenn man sich gegen den Lauf der Zeit eh nicht wehren kann – wenn die Dinge nun einmal geschehen, ob man dies will, oder nicht. „Positivistischen Fortschrittsglauben“ nannte man das im soziologischen Seminar der 80er Jahre, und da war Positivismus als Schimpfwort gemeint. „Geist“ ist aus dieser Perspektive ein Synonym für „Gestern“ und völlig überbewertet, „Geschwindigkeit“ hingegen von großer Ästhetik, was besonders schön im Krieg zur Geltung kommt[4]. Etc.pp.

  1. [1] Z.B. Kathrin Passig im Merkur.
  2. [2] Z.B.Ronnic Vuine in den Vigilien.
  3. [3] Z.B. Spreeblick.
  4. [4] Vgl. das Manifest des Futurismus aus den 20er Jahren.


Drumcomputer


Mein Lieblingsbeispiel für die merkwürdigen Wege, die eine neue Technologie bei ihrer Adaption durch die Gesellschaft zurücklegt, ist die Entwicklung des Drumcomputers, des „Schlagzeugs aus der Dose“. Solche Maschinen gab es in analoger Form schon in den frühen Siebzigern; richtig durchgesetzt haben sie sich aber erst in ihrer digitalen Inkarnation. 1983 wurde die Schnittstelle für die Kommunikation zwischen digitalen Musikinstrumenten eingeführt, MIDI. Das Protokoll war von zahlreichen Herstellern von Musikinstrumenten entwickelt und verabschiedet worden, und zwar ohne den sonst üblichen Vorlauf aus Streitereien über konkurrierende Standards, und ausnahmsweise ohne den Versuch, aus solchen Nicklichkeiten Marktvorteile zu generieren. In kurzer Zeit war der Markt mit MIDI-tauglichen Geräten überschwemmt – unter ihnen nicht nur Synthesizer, sondern auch Drumcomputer und Software(!).

Die damals vorherrschende Welle in der Popmusik hieß Disco, und die dort vorherrschenden monotonen Beats eigneten sich hervorragend, um die Schlagzeuger aus den Studios zu werfen und durch Drumcomputer zu ersetzen. Zuerst ging es gar nicht darum, irgendwelche neuen Features der neuen Technik in die Hände zu bekommen und die Geräte kreativ zu nutzen – man wollte schlicht Kosten sparen. Ein professioneller Schlagzeuger ist nicht nur teuer, sondern macht Fehler, die hinterher mühsam via Overdub ausgebessert werden müssen. Hinzu kommt, daß das Recording eines Schlagzeugs im Studio ein technischer Albtraum ist – man muß mit drei oder besser sieben Mikrophonen hantieren, die erst nach mühsamem Soundcheck so positioniert sind, daß das komplette Drumset ausgewogen klingt. Dabei hat man noch mit dem Problem zu kämpfen, daß in jedem der Mikrophone nicht nur das eigentlich adressierte Instrument zu hören ist, sondern das komplette Set. Mit dem Drumcomputer wird der Traum des Toningenieurs wahr, endlich ohne jede Übersprechung die einzelnen Komponenten getrennt zu bearbeiten.

Da gab es also ein gewaltiges Potential für Rationalisierungen, und das hat man bis zu einem Punkt genutzt, wo Drummer, die etwas wie einen menschlichen Pulsschlag in ihren Adern hatten, keine Chance mehr in einer kommerziellen Session hatten. In der Musikerszene wurde damals definitiv davon ausgegangen, daß nicht nur der Beruf des Studiodrummers am Ende sei, sondern daß früher oder später niemand mehr das Instrument würde lernen wollen – man vermutete, daß das zentrale Instrument für den Pop-, Rock- und Jazzbereich am Aussterben sei und keine Zukunft mehr habe.

Das ist bekanntlich nicht so gekommen. Auch heute noch gibt es an den Musikschulen genug junge Menschen, die „Schlagzeug” lernen wollen, und auch heute noch gibt es einen Bedarf an professionellen Drummern – nicht nur im Jazz, sondern auch in bestimmten Bereichen der Popmusik, die sich bewußt von dem Produktionsprozeß in der Fabriken der Majors absetzen wollen (und die gerade heutzutage, wo die Majors eben gar nicht mehr so major sind, zunehmend Einfluß gewinnen).

Es ist jedoch etwas ganz anderes passiert, was Mitte der 80er nicht einmal ansatzweise vorausgesagt wurde, was aber einen überhaupt nicht zu überschätzenden Einfluß auf die heutige Popkultur hat: die Hörgewohnheiten im rhythmischen Bereich haben sich drastisch gewandelt. Wenn man sich heute Popmusik der 70er anhört, wird man feststellen, wie geradezu grotesk schlecht das Timing damals war, wie unglaublich es dort wackelt und im Tempo schwankt und kaum ein Schlag wirklich auf dem Punkt sitzt. Ich bin in den Siebzigern groß geworden, und – trotz guter musikalischer Ausbildung – ist mir dies damals keinesfalls aufgefallen. Der Maßstab ist heute jedoch ein ganz anderer, und der wurde durch die computergenaue Time der Drumcomputer gesetzt.

Dabei geht es zwar auch, aber gar nicht in erster Linie um den Einsatz der Computer in der Musikproduktion. Weit wichtiger ist, daß deren akurates Timing zu einer Herausforderung all jener wurde, die mit ihm zu spielen hatten. Mein erster Computer war ein Drumcomputer – und ich habe ihn nicht angeschafft, um damit Discomusik zu produzieren, sondern um mit seiner Hilfe zu üben. All jene Musiker, die ebenso alt oder jünger sind wie ich, haben dies getan, und dadurch eine völlig andere Beziehung zum Rhythmischen entwickelt als all jene, die zuvor allenfalls zum wackligen und eiernden analogen Metronom geübt hatten. Die Folge war, daß die Musik in allen Stilrichtungen plötzlich einem Ideal von rhythmischer Präzision folgte, das gewissermaßen zum universellen Paradigma wurde. Man kann beliebige Aufnahmen des Pop und Jazz seit etwa Mitte der 80er herauskramen – man findet durchgängig bei allen Instrumentalisten (nicht nur den Drummern) ein Timing, das tight ist wie nie zuvor.

Das hat seine Spuren natürlich auch bei den Hörern hinterlassen, und einen Graben zwischen der Musik vor und nach dem Aufkommen der Drumcomputer aufgerissen. Wenn ich mir heute eine Aufnahme der Beatles anhöre, bekomme ich ernstliche Zweifel, ob diese Musik noch die nächsten 50 Jahre überleben wird, oder ob sie dann allenfalls von historischem Interesse ist. Ringos Schlagzeug nach zu urteilen, gilt letzteres wohl schon heute.

[Ich kann das Thema hier nur anreißen – mehr findet sich in den Baukästen über Musikproduktion am Computer und die Entwicklung der Computertechnik, sowie meinem Versuch einer Theorie der Rhythmik.]

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Werkzeug


Am Beispiel der Entwicklung des Drumcomputers kann man recht schön zeigen, wie eine Technologie im Lauf der Zeit völlig andere Konsequenzen für ihre Benutzer hat, als man dies anfangs vermuten konnte. Erst im Wechselspiel mit der Gesellschaft entfaltet sie sich, und geht dann Wege, die keiner ihrer Erfinder auch nur im entferntesten im Sinn hatte. Mehr noch: sie kann gesellschaftliche Verhältnisse schaffen, die im Nachhinein wirken, als hätten diese schon immer so existiert, und die man nicht mehr mit ihr in Verbindung bringt. Die im Vergleich zu den 70er Jahren stark veränderten Hörgewohnheiten in Bezug auf die Rhythmik nimmt nur derjenige wahr, der die Veränderung am eigenen Leib erlebt hat, bzw. genauer: der unmittelbar aktiv an dieser Veränderung beteiligt war. Die meisten Hörer wundern sich nicht über den Wandel, und nehmen ihn nicht einmal wahr – ganz zu schweigen davon, daß ihnen seine Ursache bewußt wäre.

Ich kann es nicht für jede Entwicklung einer neuen Technologie beweisen, vermute jedoch, daß man stets solch einen Punkt findet, an dem eine ursprüngliche Konzeption in etwas völlig Anderes, vorher Ungeplantes umschlägt, was sich hinterher mehr oder weniger vor der bewußten Analyse versteckt. Die Entwicklung der Eisenbahn etwa beginnt als Werkzeug im Bergbau – zum Schluß ist sie das Schmiermittel einer global vernetzten Wirtschaft. Was für uns heute selbstverständlich ist, war für die Erfinder der ersten Lokomotiven komplett unabsehbar, und auch die ersten Einwände gegen das neue Transportmittel betrafen nicht einmal ansatzweise die Funktion, die es relativ rasch einnahm. Sowohl Befürworter wie auch Gegner hatten keine Ahnung von der Umordnung der Welt, die da bevorstand. Hinterher erscheint dies jedoch wie eine kontinuierliche, komplett logisch erklärbare Entwicklung, über die sich heute niemand mehr wundert.

Auf heutige Verhältnisse übertragen, kann man jede Prognose über das Überleben von Twitter in den nächsten fünf Jahren beruhigt als irrelevant beiseite stellen, und zwar unabhängig davon, ob jemand über die neuen Möglichkeiten jubelt oder über die Deppen lästert, die sich dort austoben. Auch für eine Vermutung über die Rolle des Internets in den nächsten Jahren ist es heute viel zu früh. Wie z.B. im Zeichen von Online-News der Beruf des Journalisten in zwanzig Jahren aussieht, kann einem heute definitiv niemand sagen – erst recht nicht jene, die Argumente für dessen Notwendigkeit suchen, und exakt ebenso nicht die, die dessen Niedergang für unabwendbar halten.

Wenn man heute von der Entwicklung von Technologien spricht, verbindet man damit idR eine recht enge Definition, die Computer und das Internet im Kopf hat, und vielleicht noch das Auto oder die Eisenbahn. Man kann dies aber wesentlich weiter fassen: die ersten Technologien stecken in der Erfindung des Faustkeils und dem kontrollierten Gebrauch des Feuers. Aus diesem Blickwinkel ist jedes technische Gerät ein Werkzeug – und in dieser Definition steckt dann endlich das, was das Wesen jeder Technologie betrifft, nämlich ihr Gebrauch. Jedes Werkzeug ist undefiniert ohne denjenigen, der es benutzt. Umgekehrt läßt sich der Mensch ganz hervorragend als „tool making anmimal“[1] definieren – als ein Wesen, das Werkzeuge baut und benutzt.

Wenn man voller Enthusiasmus und Hoffnung vor „neuer Technologie“ steht und die Möglichkeiten analysiert, kommt man ebenso wenig zu einer halbwegs gültigen Bewertung, wie durch einen pessimistischen Vergleich der neuen, schlechteren Welt mit ihrem angeblich so viel besserem Vorgänger. Erst durch die Beschreibung der Wechselwirkung zwischen Werkzeug und Gesellschaft in ihrer Benutzung bekommt man eine Ahnung davon, was „Technologie“ „ist“.

  1. [1] Diese Definition habe ich von Rolf Todesco.
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