Hiob und die Freiheit

Möglichkeiten und Hoffnungen


In nahezu sämtlichen (politischen) Debatten geht es irgendwann um den Begriff der Freiheit. Es kann stutzig machen, daß das Streben nach Freiheit als Begründung für mitunter unterschiedlichste, einander widersprechende Ziele auftaucht. Da liegt dann der Verdacht nahe, daß der Begriff in unterschiedlicher Definition verwendet wird. Unstrittig ist einzig, daß er positiv konnotiert wird – nur dadurch eignet er sich als Scharnier und Angelpunkt des politischen Diskurses.

Zunächst fällt auf, daß „Freiheit” häufig als von anderem bedroht erscheint - von äußerem Zwang, oder staatlicher Zensur beispielsweise. Der Begriff wird hier definiert durch das, was er nicht ist, von der Seite seiner womöglich bevorstehenden Nichtexistenz – wobei eine „positive” Definition außen vor bleibt und gar nicht erst versucht wird. Der Zwang beispielsweise, bestimmte Gesetze einzuhalten, dient dann dazu, diese Gesetze als freiheitsfeindlich zu denunzieren. Zensur unterdrückt, aus dieser Sicht, die freie Verbreitung von Inhalten, in welcher Form auch immer, sei es Schrift, Bild oder Ton, und wird deshalb grundsätzlich abgelehnt. Dieser prinzipiellen Ablehnung von „Unterdrückung”, gleich welcher Art, steht jedoch kein positives Bild dessen gegenüber, was ohne diese Unterdrückung gelingen würde.

Eine positive Deutung des Begriffs kann man versuchen, wenn man Freiheit als Freiheit der Auswahl begreift - als Entscheidung für etwas Bestimmtes. Dabei geht es nicht um die Auswahl zwischen materiellen Dingen - der Wahl einer bestimmten Sorte Eis an der Bar etwa, oder jener des Autos, das man besitzen will und fährt[1]. Vielmehr geht es um die Entscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten des eigenen Handelns. Dies setzt zunächst voraus, daß man tatsächlich eine Auswahl hat, und nicht etwa nur Dieses machen kann, um weiter zu leben, weil die Entscheidung für Jenes bedeutet, daß man stirbt. Solche Entscheidungen gehören ins Reich der Notwendigkeit, nicht in das der Freiheit[2]. Wer freiheitlich über das eigene Handeln bestimmt, wählt zwischen Wegen, die in keiner Weise deterministisch vorherbestimmt sind. Hier entscheidet man über Möglichkeiten und Hoffnungen, nicht über eine ausweglose Situation.

Wer solche Entscheidungen trifft, folgt in letzter Instanz bestimmten sittlich-moralischen Werten. Ich stelle mich mal für einen Moment auf den Standpunkt eines Kindes, und behaupte, daß es das „Gute” und das „Böse” gibt, denen man alle Werte zuordnen kann[3]. Wenn man dieses „Setting” für einen Moment akzeptiert, muß man zunächst auch zustimmen, daß jede Entscheidung, die auf Werten basiert, zwischen „Gut” und „Böse” auswählt.

Demnach könnte man Freiheit definieren als Möglichkeit für eine Entscheidung zwischen Gut und Böse.

  1. [1] Es gibt allerdings wohl nicht so selten Menschen, die den Grad ihrer persönlichen Freiheit gerade an der Bestimmung über materielle Dinge messen - für das „Eis” muß man dann nur die „Villa” oder „Jacht” setzen.
  2. [2] Dabei gibt es eine eigene Kategorie von Entscheidungen, die darüber entscheiden, in welches dieser Reiche man eine andere Entscheidung einordnet - dazu später mehr.
  3. [3] Dabei stelle ich zunächst die Frage beiseite, wer dies warum tut.


Epikurs Dilemma


Wenn Gott grenzenlos gut und gleichzeitig allmächtig ist – wie ist es dann möglich, daß es Böses gibt in der Welt? Wie kann es sein, daß unter Gottes allwissendem Auge Naturkatastrophen geschehen und Kriege geführt werden?

Das sind Fragen, die nicht nur Kinder stellen, sondern die – unter dem Namen der Theodizee – eine zentrale Rolle in jeder Diskussion über Glaubensdinge spielen.

In einer berühmten Formulierung, die als „Epikurs Dilemma” bekannt ist, lautet sie so:

Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht, oder er kann es nicht und will es nicht, oder er kann es und will es. Wenn er nun will und nicht kann, so ist er schwach, was auf Gott nicht zutrifft. Wenn er kann und nicht will, dann ist er mißgünstig, was ebenfalls Gott fremd ist. Wenn er nicht will und nicht kann, dann ist er sowohl mißgünstig wie auch schwach und dann auch nicht Gott. Wenn er aber will und kann, was allein sich für Gott geziemt, woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht weg?

Die Antwort, die in der Romantik gefunden wurde – ausgerechnet in einem Moment, in dem man ausrief, Gott sei tot – bezieht sich auf die Unvereinbarkeit zwischen der Freiheit, die Gott den Menschen auf den Weg gegeben hat, und dem Ausschluß der Möglichkeit, sich vom Pfad der Tugend zu entfernen. Sie lautet: nur wer in der Lage ist, Böses zu tun, ist frei, und nur eine Schöpfung, in der die Menschen frei sind, ist vollkommen. Hätte Gott dem Menschen den freien Willen vorenthalten, wäre seine Schöpfung unvollkommen und damit nichtig, weil sie dann letztlich nur ein Spiegel seiner selbst wäre, ohne die Möglichkeit, sich von ihm zu lösen und einen eigenen, gottlosen Weg zu gehen.

Thomas Mann schreibt (im Doktor Faustus):

Das Böse, der Böse [war] selbst ein notwendiger Ausfluß und ein unvermeidliches Zubehör der heiligen Existenz Gottes selbst; wie denn auch das Laster nicht aus sich selbst bestand, sondern seine Lust aus der Besudelung der Tugend zog, ohne welches es wurzellos gewesen wäre; anders gesagt: es bestand in dem Genuß der Freiheit, d.h. der Möglichkeit, zu sündigen, die dem Schöpfungsakt selbst inhärent war. – Hierin drückt sich eine gewisse logische Unvollkommenheit der Allmacht und Allgüte Gottes aus, denn was er nicht gekonnt hatte, war, der Kreatur, also dem, was er aus sich entließ, und was nun außer ihm war, die Unfähigkeit der Sünde anzuschaffen. Dies hätte geheißen, dem Geschaffenen den freien Willen vorzuenthalten, sich von Gott abzukehren, – was eine unvollkommene, ja überhaupt keine Schöpfung und Entäußerung Gottes gewesen wäre.

Man kann (und hat es getan) mit diesem Thema dicke Bücher füllen. Erwähnt sei hier nur Schopenhauers Konzeption eines Gottes, der nicht gerecht, sondern übergerecht ist. – Dann muß man natürlich auf Nietzsche verweisen, dessen Kritik des klassischen Gottesbegriffs bei näherem Hinsehen ja keineswegs darauf hinausläuft, Gott abzuschaffen – er entreißt ihn lediglich einer Theologie, die ihn mit logischen Operationen dem Begreifen der Menschen Untertan machen will, statt ihn seiner eigenen, göttlichen Sphäre zu belassen.

Dabei geht es mir an dieser Stelle ja nur darum, die grundlegende Unvereinbarkeit der Prinzipien von Freiheit und Gerechtigkeit – nun: anzudeuten. Wer frei ist, ist zwangsläufig in der Lage, Böses – Ungerechtes – zu tun. Mehr noch: erst in dem Moment, wo er ungerecht ist und böse handelt, beweist er seine Freiheit und wird dadurch überhaupt erst zum Menschen.



Wraith


Ich möchte einige Geschichten erzählen, von denen ich vermute, daß sie deutlich machen, wie das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Gerechtigkeit bzw. Freiheit und Notwendigkeit konkret aussieht.

Stargate Atlantis - Wraith

Den Anfang mache ich mit einen kurzen Ausflug um die Ecke – die erste Erzählung spielt in der benachbarten Pegasus-Galaxis. Dort herrschen äußerst übellaunige Gesellen, die Wraith – fast schon menschenähnliche Kreaturen mit weißen Haaren, unappetitlichen Resten zwischen den Zähnen, und einem leicht befremdlichen Blick. Trotz ihrer schlechten Laune sind sie der menschlichen Rasse keinesfalls feindlich gesonnen – im Gegenteil: sie züchten Menschen auf eigens dafür reservierten Planeten, um sich von ihnen zu ernähren. Dabei wird das Futter überaus ästhetisch verzehrt – die Wraith schlachten die Menschen nicht blutig ab, sondern saugen ihnen durch bloßes Handauflegen auf direktem Weg das Leben aus. Am Endergebnis ändert das dem Schlachten gegenüber allerdings wenig: ein ausgesaugter Mensch wird schlagartig immer älter, bevor er an Altersschwäche stirbt.

Ursprünglich gibt es in der Pegasus-Galaxis nur zurückgebliebene, bäuerliche Kulturen, die, sobald sie für den Geschmack der Wraith zu weit voranschreiten und sich etwa gegen die Zumutung, bloß Futter zu sein, zu wehren beginnen, umgehend ausgelöscht werden. Das ändert sich, als das Stargate-Command der Erde eine Expedition in diesen entlegenen Winkel des Universums entsendet – plötzlich haben es die Wraith mit einem ernst zu nehmenden Gegner zu tun. Die Erdlinge haben zwar keineswegs einen leichten Kampf zu führen und stehen mehrfach dicht vor dem Untergang. Eine echte Wende zu ihren Gunsten findet jedoch statt, als sich herausstellt, daß die Wraith letztlich auch bloß Menschen sind, deren DNA von einem geheimnisvollen Symbioten verändert wurde.

Die erste Geschichte, in der diese Entdeckung eine Rolle spielt, dreht sich um ein junges Wraith-Mädchen, das – nach dem Absturz eines Raumschiffs, bei dem die restliche Besatzung starb – schon als Baby von einem Menschen gefunden und wie eine Tochter großgezogen wird. Anfangs geht das gut, weil das Kind sich mit normaler Nahrung zufrieden gibt, und auch ohne Weiteres die moralischen Werte des Adoptivvaters übernimmt. Später, in der Pubertät, ändert sich das aber grundlegend: jetzt ist es nicht mehr damit getan, Nahrung durch den Mund in den Magen zu transportieren – das Mädchen wird immer mehr zum Wraith, und kann nur überleben, wenn es an der Kraft menschlichen Lebens saugt. Zunächst reicht es, wenn der Vater sich hergibt und gelegentlich ein paar Jahre seines eigenen Lebens der Adoptivtochter opfert. Irgendwann ist auch das nicht mehr genug – man findet in der Umgebung des Dorfs, in dem Vater und Tochter leben, regelmäßig Leichen, deren Zustand unmißverständlich klar stellt, daß nur ein Wraith für sie verantwortlich sein kann. Die Jagd beginnt.

Die Pointe ist hier, daß das Mädchen an der eigenen Natur unendlich leidet. Sie will niemanden verletzen, und sie empfindet ihr Verlangen nach menschlichem Futter zutiefst verwerflich, derart abartig sogar, daß sie an sich selbst ein verzweifeltes Experiment versucht. – Als Stargate-Command ihren Planeten besucht, ist man dort nicht weiter verwundert, einen gezähmten Wraith vorzufinden – man kennt längst deren menschliche Wurzeln und arbeitet an einem Serum, das die Veränderungen in der DNA rückgängig macht. Das Mädchen findet eine Ampulle mit diesem Serum und injiziert es sich selber, in der Hoffnung, der eigenen Natur zu entkommen und endlich zum Mensch zu werden. Der Versuch endet tödlich. Das Serum ist ja nur ein Experiment – es wirkt in genau die falsche Richtung, und verwandelt sie nicht in einen Menschen, sondern in ein Monstrum, das den anderen, gänzlich unmenschlichen Pol der Natur der Wraith markiert.



Auch die zweite Geschichte[1] spielt in der Pegasus-Galaxis.

Ein junger Mann erwacht in der Krankenstation von Stargate-Command, der sein Gedächtnis komplett verloren hat. Körperlich ist er unversehrt, auch wenn er täglich eine Dosis Insulin gespritzt bekommt, weil er (vorgeblich) zuckerkrank sei. Man sagt ihm seinen Namen und teilt ihm mit, daß er ein Leutnant der Airforce sei, der bei einem Kampfeinsatz gegen die Wraith verletzt wurde und nur mit knapper Not lebend entkam. Aber auch als man ihm seine Unterkunft zeigt, in der neben anderen persönliche Dingen auch ein Foto seiner Eltern steht, kehrt sein Gedächtnis nicht einmal ansatzweise zurück. Einzig sein Körper scheint sich gewisser Dinge zu erinnern – es zeigt sich, daß er über phänomenale Fähigkeiten im Kampf ohne Waffen verfügt. Auch in seinem Unterbewußtsein geschehen unerklärliche Dinge: er hat schlimme Alpträume, in denen er immer wieder unvermittelt einem Wraith gegenüber steht – man tröstet ihn und sagt, dies sei Resultat des Traumas, das er im Einsatz erlitt.

Während er wieder im Alltag Schritt zu fassen versucht, zeigt sich eine eigenartige Zerrissenheit im Verhalten seiner Mitstreiter und Kollegen. Die Menschen in seiner Umgebung nähern sich ihm gegenüber größtenteils wohlwollend – ja, eine Frau erklärt gar, sie sei ein enger Freund gewesen. Andere reagieren aber abweisend – und die Situation eskaliert, als man ihn ohne erkennbaren Anlaß körperlich heftig attackiert. Spätestens mit diesem Vorfall wird der vermeidliche Leutnant mißtrauisch und vermutet, daß man ihm wichtige Informationen vorenthält. Tatsächlich ist es schlimmer: man hat ihn offen angelogen, und ihm eine Vergangenheit angedichtet, an der nicht das Mindeste wahr ist: Er ist ein Wraith, den man mit dem Serum behandelt, das in der vorherigen Erzählung so fatale Folgen hatte, das mittlerweile aber tut, was es soll. Das Monster, dem er in seinen Träumen begegnet, ist er selbst, und jeder Traum ein Blick in den Spiegel der eigenen Vergangenheit.

Was für das Wraith-Mädchen die Erfüllung ihres Traums gewesen wäre, ist für den Leutnant völlig inakzeptabel. Nicht nur, daß man ihn belogen hat – und der Umstand, daß er mit dem Versprechen der Freundschaft zu einer schönen Frau in die Irre geführt wurde, spielt hier wohl eine besondere Rolle. Auch das Motiv, ihn in einen Menschen zu verwandeln, bestand keineswegs darin, ihm Gutes zu tun, sondern man wollte eine neuen Waffe gegen die Wraith testen. Entscheidend aber ist, daß man gegen seinen Willen seine eigentliche Natur außer Kraft gesetzt hat, und ihn zudem der eigenen Vergangenheit beraubte – man hat ihm seine komplette Identität genommen. Er setzt in der Folge alles dran, zu fliehen, und als er das schafft und die tägliche Dosis des vorgeblichen Insulins nicht mehr bekommt, verwandelt er sich Schritt für Schritt vom Mensch zurück in einen Wraith. Dabei verliert er nicht nur die menschliche Gestalt, sondern auch jedes Gefühl für Recht und Moral – er gehört nun wieder zum Lager des absolut Bösen.

Es scheint, die objektiven Einschränkungen durch die eigene Natur sind eine unabdingbare Vorbedingung, frei zu sein. Man kann sie nicht abschaffen, und wenn, dann nur in einem Akt der Gewalt, der zwangsläufig gleichzeitig auch jede Möglichkeit für Freiheit vernichtet. Jede Form von Manipulation führt dazu, daß Freiheit nicht mehr möglich ist. Das, was das Wraith-Mädchen für sich selbst um jeden Preis haben wollte, ist für den Leutnant völlig inakzeptabel, weil es von außen oktroyiert und unter Zwang geschah. Das Mädchen ist gescheitert, weil das Mittel nicht so gewirkt hat, wie vorgesehen. Obwohl das Mittel jetzt endlich tut, was es soll, funktioniert es nicht für den Leutnant, weil man es ihm aufzwingt. In der Entscheidung zwischen Gut und Böse spielt hier nicht das Ergebnis der Wahl eine Rolle, sondern allein die Art, wie es zustande kam – allenfalls akzeptabel in einem Akt der Freiheit.

  1. [1] Beide Geschichten sind nicht meine Erfindung, sondern Nacherzählungen von zwei Episoden aus der zweiten Staffel von „Stargate-Atlantis”.


Hiob


Die nächste Geschichte stammt aus dem Alten Testament.

Es ist die Erzählung von Hiob[1], der ein angesehener und wohlhabender Mann war, bevor er Opfer einer bizarren Wette zwischen Gott und dem Satan wurde. Gott zeigt sich hocherfreut über die Frömmigkeit Hiobs, worauf der Satan einwendet, diese sei ja angesichts dessen materiellen Wohlstands billig erkauft - eine These, die es zu überprüfen gilt. Hiob verliert also nicht nur seinen kompletten Besitz - auch all seine Söhne und Töchter finden den Tod (die Knechte, die ihm von diesen Schlägen berichten, überbringen die sprichwörtlichen Hiobsbotschaften). Das läßt ihn aber keine Sekunde an Gott zweifeln, und der Satan, der wohl Gottes selbstzufriedenes Gesicht gesehenen haben mag, lästert jetzt darüber, ob diese Glaubensstärke auch dann noch vorhält, wenn man Hiob an Leib und Gesundheit geht. Hiob wird also von überaus schmerzhaften Geschwüren heimsucht, die ihn aufs Krankenlager zwingen. Aber selbst so läßt er sich nicht vom Glauben an Gottes Macht und Größe abbringen.

Hiobs Frau tritt auf ihn zu, und bedrängt ihn, Gott abzuschwören - vergeblich. Drei Freunde besuchen ihn am Krankenbett und wollen erfahren, welche Schuld er auf sich geladen habe - irgendeinen Grund müsse es schließlich geben, warum Gott ihn derart hart bestraft. Hiob verteidigt sich aber standhaft und bekundet, Gott stets die Treue gehalten und nichts Falsches getan zu haben. Schließlich spricht Gott selbst zu ihm, lehrt ihm die göttliche Größe und Allmacht und enthebt ihn des Fluchs. Hiob wird mit einem langen Leben gesegnet, bekommt noch einmal zehn Kinder und erhält seinen weltlichen Besitz doppelt zurück.

Eigentlich, so sollte man meinen, stimmt an dieser Geschichte gar nichts. Gott wird dargestellt als eitler Gesell, der damit prahlt, wie bedingungslos ihm sein Diener gehorcht. Wenn angezweifelt wird, daß dies eine großartige Leistung sei, hat er nichts besseres zu tun, als ein ebenso absurdes wie überflüssiges Theater zu veranstalten, um seinen Kritiker ins Unrecht zu setzen. Am Ende des Spiels, wenn endgültig klar ist, daß seine Prahlerei zur Realität wurde, verhöhnt er auch noch sein Opfer, indem er sich selbst als riesengroß und den Menschen als überflüssig und letztlich wertlos darstellt. Am Ende bekommt zwar Hiob seinen materiellen Einsatz doppelt zurück. Dabei scheint es überhaupt keine Rolle zu spielen, daß seine Kinder immer noch tot sind - von ihrer Wiederauferstehung ist jedenfalls nirgends die Rede. Im Grunde würde man solch eine Attitüde allenfalls von einem Wraith erwarten, der einen menschlichen Diener aus lauter Lust am Bösesein ein wenig quält.

Man findet in der Debatte über das Buch Hiob immer wieder Deutungen, die dort ein Beispiel für die Bedeutung von Demut angesichts Gottes unergründlichem Ratschluß vermuten. Man solle selbst vor schlimmsten Schicksalsschlägen nicht verzweifeln, sondern stets an Gott und seine letztendlich obsiegende Gerechtigkeit glauben. Der leidende Mensch werde durch Gott geprüft, und sei letztlich wertvoller als jener, dem diese Prüfung erspart bleibt. Erst aus dem Leiden entstehe wahre Größe. Der Heiland scheint dafür das beste Beispiel, und die Leiden Hiobs sind gewissermaßen nur eine Vorstufe zu Passion und Kreuz.

In meinen Augen ist diese Sichtweise eine groteske Verdrehung der Zusammenhänge. Man versucht hier, eine Sache zu rationalisieren und in eine Gesetzmäßigkeit zu zwingen, wo es diese gar nicht geben kann. Hiob wird eben nicht von Gott geprüft - als ob Gott hier Grenzen testen würde, obwohl er sich längst darauf festgelegt hat, daß dieser Test erfolgreich sein wird. Da Gott allwissend ist, weiß er natürlich auch, wie das Spiel ausgeht. Das ist keine Prüfung, sondern ein perfides Spiel - perfide, wenn es denn nicht Gott wäre, der es spielt. So aber handelt sie sich um ein Paradox, das man nicht aus der Welt schafft, indem man es leugnet und auf Ursache und Wirkung zu biegen sucht.

  1. [1] Der Link führt zum Text der Elberfelder Übersetzung der Bibel.



Ich hatte bereits ausgeführt, daß Freiheit immer die Option beinhaltet, das Falsche zu tun bzw. sich für das Böse zu entscheiden. Vor diesem Hintergrund kann man die Geschichte Hiobs gewissermaßen als Innenseite des Freiheitsbegriffs deuten. Wenn Gott das Böse zuläßt (zulassen muß!), um Freiheit zu ermöglichen, darf es auch gar nicht sein, daß die Konsequenzen bekannt sind, die sich aus dem Gebrauch der Freiheit ergeben. Wenn man bei einer Entscheidung gleichzeitig wissen würde, welche Folgen sich aus ihr ergeben, wäre es zwar leicht, die richtige Wahl zu treffen. Damit wäre aber Freiheit selbst kompromittiert. Zumindest ein kluger Mensch, der überblicken kann, was seine Wahl bewirkt, wäre gar nicht frei, sondern darauf festgelegt, das „Richtige” (was auch immer das sei) zu tun.

Mit anderen Worten: Freiheit gibt es nur in einer Welt, die emergent ist. Die Folgen einer Entscheidung - von wem und für was auch immer - sind dann niemals deterministisch festgelegt. Das gilt auch und gerade für die Entscheidung für oder gegen Gott. Jemand, der an Gott glaubt, kann genauso ins Unglück geraten wie jemand, der dies nicht tut. Genau dies ist in meinen Augen die Kernaussage des Buch Hiob - Gott höchst persönlich führt hier vor, daß selbst ein unbedingtes Festhalten am Glauben keinerlei vorhersehbare Auswirkungen hat. Man redet sich die Sache bloß schön, wenn man darauf verweist, daß Hiob am Ende ja für seine Treue belohnt wird. Die Entschädigung fällt vergleichsweise dünn aus, und läßt sich nur dann als Wiedergutmachung für die erlittene Pein deuten, wenn man unbeirrt und um jeden Preis am Prinzip von Ursache und Wirkung festhalten will. Man kann sich aber ebenso fragen, was geschehen wäre, wenn Hiob dem Drängen seiner Frau nachgegeben und Gott abgeschworen hätte - eine noch härtere Strafe als die, die er ohnehin zu erleiden hat, wäre ja kaum noch denkbar.

Damit gewinnt der Begriff der Freiheit eine neue Dimension: die Menschen sind zur Freiheit verdammt. Sie stehen der Zukunft blind gegenüber und müssen Entscheidungen treffen, die sich erst im Rückblick als richtig oder falsch erweisen.



Jenseits von Gut und Böse


Wenn selbst der christliche Gott letztlich keine Anleitung für den richtigen Gebrauch der Freiheit bereit stellt, stellt sich die Frage, woran Menschen ihr Handeln ausrichten sollen. Es gibt kein „Gut” oder „Richtig” in moralischen Fragen, auch wenn die Kirche in ihrer dogmatischen Auslegung der Bibel hier etwas anderes behauptet.

Auch die Philosophie Kants, die die Vernunft beschwört und in der Moderne oft herangezogen wurde, um moralische Fragen zu beantworten, gibt hier letztlich keine Antwort. Der kategorische Imperativ funktioniert nur dann, wenn man sich unter Gleichen befindet, und den Begriff der Herrschaft beiseite lassen kann. Wenn das eigene Handeln so beschaffen seien soll, daß es als Gesetz für die Allgemeinheit dienen könnte, setzt dies voraus, daß die Konsequenzen des Handelns jedes Menschen immer gleich sind. Die Entscheidungen von jemandem, der an der Spitze einer Hierarchie steht, hat jedoch völlig andere Folgen, als jene von Menschen, die allenfalls für sich selber, nicht aber für andere entscheiden.

Die moralische Richtigkeit einer Handlung kann man aber nicht an ihren Konsequenzen bemessen - entweder, sie ist richtig, oder falsch. Gleichzeitig kann man diese Konsequenzen aber nicht ohne weiteres ausblenden. Ein Firmenboß, der nur seinen Partikularinteressen nachgeht, wird mit Recht ganz anders bewertet (und verdammt) als eine Mutter, die sich egoistisch nur um sich selbst und ihr Kind kümmert (was fraglos richtig ist). Das ist ein Paradox, das sich letztlich wieder aus der Indifferenz des Begriffs der Freiheit gegen jede Moralität ergibt, wo doch Freiheit selber als moralische Kategorie erscheint.

Man kann das Problem, ethische und moralische Grenzen zu ziehen, auch ganz pragmatisch angehen und konkrete Werte darauf abklopfen, ob sie einem Anspruch auf absolute Gültigkeit standhalten. Zunächst wäre da das Gebot „Du sollst nicht töten”. Wie man leicht sehen kann, gilt es keinesfalls immer und universell. Tyrannenmord war zu allen Zeiten zulässig oder sogar eine notwendige Verpflichtung. Auch Kriege können selbst in Gesellschaften erlaubt oder sogar zwingend erforderlich sein, in denen der Stellenwert menschlichen Lebens eine sehr hohe Priorität besitzt. Der Standpunkt eines bedingungslosen Pazifismus ist spätestens dort fehl am Platz, wo fremde Besatzer ein Land unterdrücken.

Wenn man dann noch die heute so hoch gehaltenen „unveräußerlichen Menschenrechte” anschaut, kann man diesen Relativismus mit Händen greifen. Offenbar gelten sie nämlich zu 100 Prozent lediglich für die westliche Hemisphäre, und dort auch nur für die männliche Bevölkerung weißer Hautfarbe. Wenn man das konkrete Handeln gerade jener betrachtet, die von Menschenrechten am lautesten reden, muß man zum Schluß kommen, daß man es hier weitgehend mit Rhetorik zu tun hat, die auf das Handeln Anderer Einfluß nehmen will. Die Beschwörung ewiger Wahrheiten und ethisch korrekten Handelns wird hier zu einem Instrument der Legitimation von Herrschaft.



Moral und Fortschritt


Man kann aber noch tiefer einsteigen, und den Zeitbezug aller Werte an Beispielen belegen, die heute unglaublich klingen. Körperliche Folter, um ein Geständnis zu erpressen, ist in der gegenwärtigen Gesellschaft geächtet – auch wenn das gelegentlich, z.B. im sogenannten Kampf gegen den Terror, relativiert wird. Dabei bedeutet es jedoch zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Rechtsgeschichte einem unbestreitbaren Fortschritt, wenn die Praxis der Folter eingeführt wird. Im frühen Mittelalter war es gängig, die Schuld eines Angeklagten durch ein Gottesurteil zu ermitteln. Man fesselte beispielsweise den vermeintlichen Delinquenten, band schwere Steine an ihm fest, und warf ihn ins Wasser. War er unschuldig, würde ihn Gott schon vor dem Ertrinken retten. Andernfalls – wenn er unterging – war sein Tod rechtens und gottgewollt. Erst im Zeitalter der Scholastik und mit zunehmender Bedeutung des aristotelischen Konzepts von Logik und Rationalität geriet dieses Verfahren in Verdacht, auch Unschuldige in den Untergang zu reißen. Man wollte rationale Evidenz – und was hat mehr Evidenz und ist unwiderlegbarer als ein Geständnis des Angeklagten selbst? Das ist die ursprüngliche Motivation für die Folter.

Auch die Hexenverbrennungen sind keineswegs einfach bloß entmenschlichte Raserei, sondern haben einen zutiefst moralischen Kern. Man glaubte einst ernsthaft, daß Menschen, die vom Teufel besessen sind, durch die Flammen gereinigt werden, so daß sie nicht für alle Ewigkeit im Feuer der Hölle brennen, sondern im letzten Moment dem Teufel entrissen und gerettet werden. Wenn man sich mittelalterliche Bilder eines Autodafe ansieht, kann man regelmäßig über den menschlichen Fackeln die Darstellung kleiner, geflügelter Wesen finden – das sind die Seelen, die zu Gott aufsteigen.

Thomas Mann erzählt im „Doktor Faustus” die Geschichte von Heinz und Bärbel, einem jungen Paar, das sich hingebungsvoll liebt.

Heinz ist ein armer Schlucker, und sein Bemühen, bei Bärbels Vater, einem wohlhabenden Glöckner, die Erlaubnis zur Heirat zu bekommen, bleibt erfolglos. Da die beiden aber nicht voneinander lassen können, werden sie auch ohne Gottes Segen zum Paar.

Heinz wird bei einem Saufgelage unter Freunden in einem Bordell bedrängt, doch ebenfalls, wie alle anderen, einem Mädchen aufs Zimmer zu folgen. Er glaubt, sich dem nicht widersetzen zu können – beim Versuch, mit dem Mädchen zu verkehren, versagt er jedoch. Überaus beschämt, bezahlt er sie, damit sie sein Versagen seinen Freunden verheimlicht. Besorgt, wie es um seine Männlichkeit bestellt ist, schläft er kurz darauf mit seiner Bärbel – und ist halbwegs verwundert, als das problemlos gelingt.

Wenig später versucht ihn die Frau des Wirts zu verführen, als er ihr beim Beschlagen eines Weinfasses zur Hand geht. Er wehrt sich zunächst, gibt dann doch klein bei – und versagt ein zweites Mal.

Er weiß sich keinen Rat, und beichtet seine Situation dem Priester. Der hat sofort den Verdacht, daß die Glöcknertochter einen Bund mit dem Teufel hat. Bärbel gesteht auch sogleich, daß sie eine Salbe verwende, um ihren Heinz ganz für sich zu haben, wobei sie dieses Mittel von einer stadtbekannten Buhle bezöge. Letztere muß man erst scharf verhören, bevor sie zugibt, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Als sie die Sache genauer erklärt und ausführt, daß der Teufel sich für jede Seele, der sie dieses Präparat andreht, erkenntlich zeige, weil diese Seele dann zur Hölle fährt, ist es um Bärbel geschehen.

Sie wird auf dem Scheiterhaufen verbrannt, und ihr markerschütterndes Schmerzgeschrei, das ihrer lieblichen Stimme so überhaupt nicht ähnelt, beweist Heinz mit großem Schaudern, daß sie wirklich von Dämonen besessen war.