4.4.2011

Über die Konstruktion von Identität

Der Diskurs des Feminismus läuft immer wieder auf die Frage hinaus, inwieweit das Geschlecht einen Menschen formt. Die – vermeintlich objektive – Wahrnehmung, daß jemand als „Mann“ oder „Frau“ geboren wurde, führt ja zu Rückschlüssen auf geschlechtsspezifische Vorlieben, Handlungsmuster, Bewußtseinsformen, etc., die angeblich auf der Beobachtung einer – ebenso vermeidlich objektiven – Wirklichkeit beruhen.

Ich möchte das gar nicht näher ausführen – ich habe nicht die Absicht, mich etwa gegen die Behauptung zu stellen, daß Frauen prinzipiell eher zu monogamen Beziehungen neigen, weil sie aufgrund ihrer biologischen Funktion auf die Aufzucht ihrer Kinder „programmiert“ sind, während Männer der Natur ihrer „egoistischen Gene“ folgen, und nach Nachwuchs von möglichst vielen Frauen streben (in meinen Augen ist das offenkundiger Blödsinn, auch wenn das noch eines der klügeren Argumentationsmuster ist, wenn man Frauen und Männer aufgrund biologischer Unterschiede trennen – bzw. gegeneinander ausspielen – will).

Festzuhalten wäre, daß solche Argumente komplett ausblenden, daß biologische Unterschiede keine Natur sind, sondern Natur nur beschreiben. Beschreibungen jedoch sind sprachliche Artefakte, Konstrukte. Die Unterscheidung in Frau und Mann ist keine Unterscheidung, die Natur selber hervorbringt, sondern ein Unterschied, den Menschen machen, wenn sie über Natur sprechen.

Auf den ersten Blick klingt das wie eine überzogene Haarspalterei. Für den sog. „gesunden Menschenverstand“ ist Sprache ja nur ein Mittler zwischen der Wirklichkeit und dem Sprecher. Wenn man ein Wort sagt, bezeichnet man etwas, was in der Wirklichkeit existiert. Das Wort „Tisch“ ist, dieser Auffassung zufolge, das sprachliche Gegenstück zu einem physischen Gegenstand, den man in einem konkreten Raum sehen und berühren kann – auf dem man z.B. Teller oder Papiere ablegen kann, und hinter dem man sitzt, um zu essen oder zu schreiben.

Aus der gleichen Sicht scheint es völlig klar, daß jemand, den man als „Frau“ bezeichnet, auch ein Gegenstück in der Wirklichkeit hat: es ist, aus dieser Perspektive, eine unbestreitbare Tatsache, daß es „Frauen“ „gibt“, so wie es „Tische“ „gibt“.

Meiner Meinung nach sollte man sich von dieser Perspektive komplett trennen: sie ist vielleicht nicht völlig falsch, zunächst jedoch ohne jeden Bezug zur Praxis, zur „Realität”.

Von der Wirklichkeit können wir nichts wissen, sondern nur über sie sprechen. Sprache aber beschreibt nicht Wirklichkeit, sondern konstruiert sie. Schon der Begriff des Biologischen ist eine Unterscheidung, die in der Sprache liegt, nicht aber in der Wirklichkeit. Dabei steht es nicht in Frage, ob Sprache real ist, oder ob etwas wie „Realität“ existiert. Menschen können aber über Realität nur sprechen. Die Unterscheidung zwischen „Mann“ und „Frau“ ist ein sprachliches Konstrukt, welches freilich eine derart übermächtige Realität hervorbringt, daß es schwer fällt, auch nur die Annahme zu versuchen, daß es nichts mit „Natur“ zu tun hat.

Ich habe vor, zu versuchen, diese Verschiebungen in der Wahrnehmung konkret zu beschreiben, wobei es letztlich darauf hinausläuft, selbst den Begriff des Natürlichen als Konstrukt zu fassen. Dabei scheint es mir sinnvoll, zuerst das zu beschreiben, was ich als Grundton hinter den feministischen Debatten vermute: die Frage nach den Subjekten; die Suche nach Identität.

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