16.12.2009

Technologische Neuerungen (5) - Werkzeug

(Themenanfang)

Am Beispiel der Entwicklung des Drumcomputers kann man recht schön zeigen, wie eine Technologie im Lauf der Zeit völlig andere Konsequenzen für ihre Benutzer hat, als man dies anfangs vermuten konnte. Erst im Wechselspiel mit der Gesellschaft entfaltet sie sich, und geht dann Wege, die keiner ihrer Erfinder auch nur im entferntesten im Sinn hatte. Mehr noch: sie kann gesellschaftliche Verhältnisse schaffen, die im Nachhinein wirken, als hätten diese schon immer so existiert, und die man nicht mehr mit ihr in Verbindung bringt. Die im Vergleich zu den 70er Jahren stark veränderten Hörgewohnheiten in Bezug auf die Rhythmik nimmt nur derjenige wahr, der die Veränderung am eigenen Leib erlebt hat, bzw. genauer: der unmittelbar aktiv an dieser Veränderung beteiligt war. Die meisten Hörer wundern sich nicht über den Wandel, und nehmen ihn nicht einmal wahr – ganz zu schweigen davon, daß ihnen seine Ursache bewußt wäre.

Ich kann es nicht für jede Entwicklung einer neuen Technologie beweisen, vermute jedoch, daß man stets solch einen Punkt findet, an dem eine ursprüngliche Konzeption in etwas völlig Anderes, vorher Ungeplantes umschlägt, was sich hinterher mehr oder weniger vor der bewußten Analyse versteckt. Die Entwicklung der Eisenbahn etwa beginnt als Werkzeug im Bergbau – zum Schluß ist sie das Schmiermittel einer global vernetzten Wirtschaft. Was für uns heute selbstverständlich ist, war für die Erfinder der ersten Lokomotiven komplett unabsehbar, und auch die ersten Einwände gegen das neue Transportmittel betrafen nicht einmal ansatzweise die Funktion, die es relativ rasch einnahm. Sowohl Befürworter wie auch Gegner hatten keine Ahnung von der Umordnung der Welt, die da bevorstand. Hinterher erscheint dies jedoch wie eine kontinuierliche, komplett logisch erklärbare Entwicklung, über die sich heute niemand mehr wundert.

Auf heutige Verhältnisse übertragen, kann man jede Prognose über das Überleben von Twitter in den nächsten fünf Jahren beruhigt als irrelevant beiseite stellen, und zwar unabhängig davon, ob jemand über die neuen Möglichkeiten jubelt oder über die Deppen lästert, die sich dort austoben. Auch für eine Vermutung über die Rolle des Internets in den nächsten Jahren ist es heute viel zu früh. Wie z.B. im Zeichen von Online-News der Beruf des Journalisten in zwanzig Jahren aussieht, kann einem heute definitiv niemand sagen – erst recht nicht jene, die Argumente für dessen Notwendigkeit suchen, und exakt ebenso nicht die, die dessen Niedergang für unabwendbar halten.

Wenn man heute von der Entwicklung von Technologien spricht, verbindet man damit idR eine recht enge Definition, die Computer und das Internet im Kopf hat, und vielleicht noch das Auto oder die Eisenbahn. Man kann dies aber wesentlich weiter fassen: die ersten Technologien stecken in der Erfindung des Faustkeils und dem kontrollierten Gebrauch des Feuers. Aus diesem Blickwinkel ist jedes technische Gerät ein Werkzeug – und in dieser Definition steckt dann endlich das, was das Wesen jeder Technologie betrifft, nämlich ihr Gebrauch. Jedes Werkzeug ist undefiniert ohne denjenigen, der es benutzt. Umgekehrt läßt sich der Mensch ganz hervorragend als „tool making anmimal“[1] definieren – als ein Wesen, das Werkzeuge baut und benutzt.

Wenn man voller Enthusiasmus und Hoffnung vor „neuer Technologie“ steht und die Möglichkeiten analysiert, kommt man ebenso wenig zu einer halbwegs gültigen Bewertung, wie durch einen pessimistischen Vergleich der neuen, schlechteren Welt mit ihrem angeblich so viel besserem Vorgänger. Erst durch die Beschreibung der Wechselwirkung zwischen Werkzeug und Gesellschaft in ihrer Benutzung bekommt man eine Ahnung davon, was „Technologie“ „ist“.

  1. [1] Diese Definition habe ich von Rolf Todesco.
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