Hiob und die Freiheit (8)

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Man kann aber noch tiefer einsteigen, und den Zeitbezug aller Werte an Beispielen belegen, die heute unglaublich klingen. Körperliche Folter, um ein Geständnis zu erpressen, ist in der gegenwärtigen Gesellschaft geächtet – auch wenn das gelegentlich, z.B. im sogenannten Kampf gegen den Terror, relativiert wird. Dabei bedeutet es jedoch zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Rechtsgeschichte einem unbestreitbaren Fortschritt, wenn die Praxis der Folter eingeführt wird. Im frühen Mittelalter war es gängig, die Schuld eines Angeklagten durch ein Gottesurteil zu ermitteln. Man fesselte beispielsweise den vermeintlichen Delinquenten, band schwere Steine an ihm fest, und warf ihn ins Wasser. War er unschuldig, würde ihn Gott schon vor dem Ertrinken retten. Andernfalls – wenn er unterging – war sein Tod rechtens und gottgewollt. Erst im Zeitalter der Scholastik und mit zunehmender Bedeutung des aristotelischen Konzepts von Logik und Rationalität geriet dieses Verfahren in Verdacht, auch Unschuldige in den Untergang zu reißen. Man wollte rationale Evidenz – und was hat mehr Evidenz und ist unwiderlegbarer als ein Geständnis des Angeklagten selbst? Das ist die ursprüngliche Motivation für die Folter.

Auch die Hexenverbrennungen sind keineswegs einfach bloß entmenschlichte Raserei, sondern haben einen zutiefst moralischen Kern. Man glaubte einst ernsthaft, daß Menschen, die vom Teufel besessen sind, durch die Flammen gereinigt werden, so daß sie nicht für alle Ewigkeit im Feuer der Hölle brennen, sondern im letzten Moment dem Teufel entrissen und gerettet werden. Wenn man sich mittelalterliche Bilder eines Autodafe ansieht, kann man regelmäßig über den menschlichen Fackeln die Darstellung kleiner, geflügelter Wesen finden – das sind die Seelen, die zu Gott aufsteigen.

Thomas Mann erzählt im „Doktor Faustus” die Geschichte von Heinz und Bärbel, einem jungen Paar, das sich hingebungsvoll liebt.

Heinz ist ein armer Schlucker, und sein Bemühen, bei Bärbels Vater, einem wohlhabenden Glöckner, die Erlaubnis zur Heirat zu bekommen, bleibt erfolglos. Da die beiden aber nicht voneinander lassen können, werden sie auch ohne Gottes Segen zum Paar.

Heinz wird bei einem Saufgelage unter Freunden in einem Bordell bedrängt, doch ebenfalls, wie alle anderen, einem Mädchen aufs Zimmer zu folgen. Er glaubt, sich dem nicht widersetzen zu können – beim Versuch, mit dem Mädchen zu verkehren, versagt er jedoch. Überaus beschämt, bezahlt er sie, damit sie sein Versagen seinen Freunden verheimlicht. Besorgt, wie es um seine Männlichkeit bestellt ist, schläft er kurz darauf mit seiner Bärbel – und ist halbwegs verwundert, als das problemlos gelingt.

Wenig später versucht ihn die Frau des Wirts zu verführen, als er ihr beim Beschlagen eines Weinfasses zur Hand geht. Er wehrt sich zunächst, gibt dann doch klein bei – und versagt ein zweites Mal.

Er weiß sich keinen Rat, und beichtet seine Situation dem Priester. Der hat sofort den Verdacht, daß die Glöcknertochter einen Bund mit dem Teufel hat. Bärbel gesteht auch sogleich, daß sie eine Salbe verwende, um ihren Heinz ganz für sich zu haben, wobei sie dieses Mittel von einer stadtbekannten Buhle bezöge. Letztere muß man erst scharf verhören, bevor sie zugibt, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Als sie die Sache genauer erklärt und ausführt, daß der Teufel sich für jede Seele, der sie dieses Präparat andreht, erkenntlich zeige, weil diese Seele dann zur Hölle fährt, ist es um Bärbel geschehen.

Sie wird auf dem Scheiterhaufen verbrannt, und ihr markerschütterndes Schmerzgeschrei, das ihrer lieblichen Stimme so überhaupt nicht ähnelt, beweist Heinz mit großem Schaudern, daß sie wirklich von Dämonen besessen war.