26.8.2009

Handwerker und Genies (9)

(Themenanfang)

Als das Musikleben des Fin de siècle in voller Blüte stand, und in jeder Saison neue Meisterwerke in den Konzertsälen und Opernhäusern aufgeführt wurden, die vom Publikum zuweilen nicht auf Anhieb geliebt, immer aber ernsthaft diskutiert wurden, entstand - in einer entfernten Nische, zunächst nur als Attraktion auf den Jahrmärkten begafft - eine neue Gattung in der Kunst, die das komplette Jahrhundert dominieren sollte, der Film.

Anfangs hat man den Film keinesfalls als Kunst betrachtet, sondern als Medium für Unterhaltung, allenfalls Dokumentation akzeptiert. Man war der Meinung, daß hier schlicht die Wirklichkeit gespiegelt wird, ohne daß ein Künstler noch eingreifen muß, um das rohe Material gewissermaßen zu veredeln (wie das z.B. ein Schriftsteller tut, wenn er „nur” eine „wahre Begebenheit” erzählt). Der Film schien viel zu dicht an der Wirklichkeit, als daß er dabei helfen könnte, von dieser zu transzendieren, so wie alle andere Kunst dies tat. Noch 1932 - zu einem Zeitpunkt also, als zahlreiche Filme schon gedreht waren, die man heutzutage als zeitlose Klassiker einordnet - hatte Rudolf Arnheim alle Mühe, seinen Zeitgenossen klar zu machen, daß im Film keinesfalls die ungebrochene Realität sichbar wird, sondern ein äußerst artifizieller und subjektiver Blick auf diese:

Durch den Wegfall der bunten Farben, des stereoskopisch zwingenden Raumeindrucks, durch die scharfe Abgrenzung des Bildrahmens etc. ist der Film seiner Naturhaftigkeit auf glücklichste entkleidet. Er ist immer zugleich Schauplatz einer »realen« Handlung und flache Ansichtskarte.

(Rudolf Arnheim. Film als Kunst. München und Wien 1979, S.40)

Ich will nicht näher auf all jene Aspekte eingehen, in denen der fotografische Blick von der Subjektivität der Künstler abhängig ist, oder die Technik des Schnitts analysieren, die geradezu konstituierend ist für den „Film als Kunst”. Mich interessieren hier nur die Unterschiede zur Oper (oder auch zum Theater), der der Film einerseits sehr nahe steht (weil er „multimedial” Bild und Ton vereint), andererseits aber so entfernt ist wie kein zweites Medium der Kunst sonst. Das ist einerseits der Zweidimensionalität des fotografierten Bildes, sowie der von den Schnitten geschaffenen Diskontinuität der Zeitfolge zu verdanken. Dadurch beschreibt sich - zum einen - die ästhetische Oberfläche des Kunstwerks mit dem Namen „Film”. In der Tiefe - andererseits, in den Bedingungen der Produktion von Filmen - wird die gesamte Vorstellung geradezu umgedreht, die man bis dahin vom Kunstwerk und dem Künstler hatte.

Zunächst geht es um einen Zusammenhang, der bereits früh in den Blick geriet: der Verlust der Aura eines Kunstwerkes, das technisch reproduziert werden kann, oder dessen ganzes Dasein auf seiner technischen Reproduzierbarkeit beruht. Walter Benjamin hat das in seinem berühmten Kunstwerk-Aufsatz detailliert dargestellt, ich zitiere eine Skizze:

Die Einzigkeit des Kunstwerks ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition. […] Die ursprüngliche Art der Einbettung des Kunstwerks in den Traditionszusammenhang fand ihren Ausdruck im Kult. […] Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks emanzipiert dieses zum ersten Mal in der Weltgeschichte von seinem parasitären Dasein am Ritual. […] In dem Augenblick aber, da der Maßstab der Echtheit an der Kunstproduktion versagt, hat sich auch die gesamte soziale Funktion der Kunst umgewälzt. An die Stelle ihrer Fundierung aufs Ritual tritt ihre Fundierung auf […] Politik.

(Walter Benjamin. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Ff/M 1981, S. 16ff)

Auch auf diesen Aspekt will ich nicht näher eingehen. Es geht mir in der Folge um zwei Phänomene, die unmittelbar miteinander zusammenhängen, und die mit der Vorstellung vom künstlerischen Genie genauso gründlich Schluß machen, wie die mechanischen Verfahren der seriellen Musik - dies jedoch nicht, indem sie das Kunstwerk in radikale Autonomie überführen, sondern im Gegenteil, indem sie es der Verwertbarkeit durch das Kapital bedingungslos öffnen.

Die Rede ist von der kollektiven Arbeit, in der ein Film entsteht, sowie der Genese des Stars.

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