3.6.2009

Sinn und Abstraktion (2)

(Themenanfang)

Das Wort „Sinn” wird in verschiedenen Bedeutungen verwendet; ich rede hier nicht von den Sinnen bei der sinnlichen Wahrnehmung, sondern von Sinn als Bedeutung. Auch hier gibt es eine Reihe verschiedener Ebenen - den Sinn von Sprache, jenen für das Erleben von Individuen, sowie für das Funktionieren von Gesellschaft. Ein Satz kann unsinnig sein, weil er grammatisch falsch ist oder Wörter enthält, die nur Nonsens ergeben. Ein Individuum kann sein Leben als sinnlos empfinden, und eine Gesellschaft kann bestimmte Handlungen oder Kommunikationen als sinnlos ablehnen. Dabei ist jede Sinnlosigkeit gleichzeitig ein Verweis auf Sinn, und nicht ihr Gegenteil. Ein falsch gebauter Satz ist nicht das Gegenteil eines richtig gebauten, zumindest solange er immer noch als sprachliches Konstrukt sichtbar wird - er bleibt in gewisser Weise noch immer lesbar, wenn auch nur indirekt, in verschlüsselter Form. Auch ein als sinnlos empfundenes Leben wird normalerweise weitergelebt - es bleibt die Hoffnung auf eine Verbesserung, und damit noch ein Rest von Sinn. Auch eine sinnlose Handlung zerstört Gesellschaft nicht, sondern bringt sie allenfalls dazu, kurz inne zuhalten, um ihren Sinn neu zu justieren - nach einem Krieg etwa, oder einem Amoklauf.

Sinn ist jenes Medium, jenes Movens, das Individuen und Gesellschaften in Bewegung setzt und erhält. Ohne Sinn würde niemand morgens aus dem Bett kommen, und jede gesellschaftliche Tätigkeit käme zum erliegen. Wenn ich keinen Sinn in dem sehe, was ich hier gerade tue, würde ich es bleiben lassen, und mich etwas anderem zuwenden. Wenn eine Gesellschaftsordnung keinerlei Sinn produzieren würde, wäre sie noch in derselben Minute am Ende. Aber auch Sprache, die darauf beharren würde, nur noch sinnlose Sätze zu produzieren, würde sich umgehend selber erledigen, weil sie niemand mehr sprechen würde.

Sinn läßt sich als ein Medium definieren, das es erlaubt, Unterscheidungen zu treffen. Wenn man Sätze bildet, kann man verständliche Sätze von unverständlichen unterscheiden, weil die verständlichen Sätze Sinn ergeben. Ein Leben, mit dem man zufrieden ist, ergibt sich, weil man z.B. einen Beruf ergriffen hat, dessen Tätigkeit oder Resultate einem sinnvoll erscheinen. Man sieht eine Reihe von Möglichkeiten, und entscheidet sich für jene, die sinnvoll erscheinen. Man trifft eine Auswahl aus einer Potenzialität anhand des Sinns, den deren konkrete Realisierung verspricht.

Das, was „man” aktuell wählt - einen konkreten Satzbau, einen bestimmten Lebensumstand, eine gesellschaftliche Realität - ist durch Sinn von allen anderen potentiellen Realitäten getrennt. Dadurch reduziert sich die Komplexität dieser potenziellen Wirklichkeiten: man greift nur auf das zurück, was Sinn verspricht, und grenzt all jenes aus, das dies nicht tut. Sinn wird damit gewissermaßen zu einem Agenten, dessen man sich bedient, um Komplexität einzugrenzen - unter seiner Mithilfe trennt „man” das Wirkliche vom Möglichen. Damit ist das nur ein anderer Mechanismus zur Reduktion von Komplexität, den man auch bei der Bildung von Theorien oder der Planung von komplexen Abläufen benötigt: man abstrahiert, indem man vereinfacht.

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