15.4.2009

Improvisation in der Musik (16)

(Themenanfang)

Es gibt ein Vorurteil, das - selbst auf dem Level von semiprofessionellen Musikern - scheinbar nicht tot zu bekommen ist, demzufolge das Schlagzeug für das Timing zuständig ist. Wenn in einer Pop-, Rock- oder Jazz-Band das Tempo gar zu sehr anzieht (langsamer wird es ja fast nie), gibt es am Ende immer böse Blicke in Richtung auf den Drummer. Nach verbreiteter Meinung liegt es in dessen Verantwortung, die Time zu halten und die Band in rhythmischer Hinsicht anzuführen.

Tatsächlich kann man - am Baß, am Piano, oder am Saxophon - gegen einen Drummer, der gnadenlos nach vorne treibt, nur schwer etwas unternehmen. Meist ist es jedoch so, daß das Schlagzeug lediglich einer allgemeinen Tendenz nachgibt, das Tempo anzuziehen. Dabei ist es zunächst gar nicht schlimm, wenn die Steigerung in einem Solo dazu führt, daß es - z.T. deutlich - schneller wird. Wenn alle das wissen und daran beteiligt sind, spricht nichts dagegen, daß man sich (gemeinsam!) am Ende wieder ebenso deutlich zurücklehnt und gewissermaßen einen neuen Anlauf für den nächsten Durchgang nimmt. Oft ist das aber nicht allen Musikern in der Band klar, und die Atempause fällt aus.

Hinzu kommt, daß verschlampte Time durch sich selber zustande kommt: durch verschlampte Rhythmik und ungenaues Spiel - und zwar von allen. Gerade dann, wenn es schnell wird, sind die wenigsten Solisten noch in der Lage, wirklich präzise zu spielen, und dann ist idR eine gewisse Hektik dafür verantwortlich, daß alle plötzlich davon eilen.

Jack DeJohnette
Jack DeJohnette

Bei wirklich großartigen Formationen kann man immer wieder heraushören, daß jeder Einzelne seinen eigenen rhythmischen Puls „im Bauch hat”, und sich lediglich mit halber Kraft darum kümmern muß, sich mit dem Puls der Anderen zu synchronisieren. Da ist dann das Schlagzeug kein in irgendeiner Weise halb mechanisiertes Metronom, an das sich der Rest der Band „dran hängt”, sondern es kann sich seinerseits völlig frei bewegen und Dinge spielen, die vor, hinter, oder völlig neben dem gemeinsamen Puls liegen.

Sehr schön nachvollziehen läßt sich das an allen Aufnahmen, bei denen Jack DeJohnette mitwirkt - er dürfte der Drummer sein, der am deutlichsten völlig neben der eigentlichen Time spielt, die HiHat scheinbar zufällig auf- und zuschlappen läßt und zuweilen völlig aus der Rhythmik auszubrechen scheint. Wenn er dann auch noch mit Dave Holland gemeinsam die Rhythmusgruppe formt, glaubt man gelegentlich, daß man Free-Jazz hört - bis man entdeckt, daß Gitarre oder Saxophon das überhaupt nicht so sehen, und nur den gemeinsamen Puls nicht ganz so frei umspielen.

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