26.3.2009

Esperanza Spalding - „Esperanza”

Esperanza Spalding spielt Kontrabaß, und singt - und zwar beides gleichzeitig. Allein das wäre schon bemerkenswert, weil dieses Doppel völlig neu ist. Scat-Gesang im Unisono mit einem zwei Oktaven tiefer stehenden Baß hat es bislang noch nicht gegeben - und was an anderer Stelle Spalding in Sachen Polyphonie zwischen Gesang und Begleitlinien abliefert, ist streckenweise völlig unglaublich, wenn man nicht vergleichbare Dinge von Sängern kennen würde, die sich selbst mit der Gitarre begleiten.

Dabei ist sie gerade 24 Jahre alt, jüngste Dozentin aller Zeiten an der renommierten „Berkley School of Jazz”, und hat keinen geringeren als Pat Metheny zum Protegé. - All dies ist außergewöhnlich genug, um selbst die „Süddeutsche" dazu zu bewegen, diesem Ausnahmetalent einen Artikel zu widmen (leider nicht online).

Auf der CD finden sich größtenteils Stücke in „Even Eights” (geraden Achteln), die an die alten Tage der Verschmelzung von Jazz, Rock und lateinamerikanischen Rhythmen anknüpfen. Das sind z.T. recht komplexe Grooves, in die man sich eine Weile hineinhören muß, um herauszubekommen, daß man es z.B. mit einem 6/4-Takt zu tun hat - vielfach stehen schwere und leichte Zählzeiten völlig gleichberechtigt nebeneinander, und die „1” des Taktanfangs ist gut versteckt. Es gibt auch zwei eher unspektakuläre ruhige Nummern - und zwei swingende Stücke, in denen der Baß keinesfalls einen monotonen „Walking” mit durchgehenden Vierteln spielt, sondern sich zusammen mit dem Schlagzeug vehement in die Improvisationen einmischt.

Das alles findet auf einem technisch derart hohem Level statt, daß ich mir nur verblüfft die Augen gerieben habe - Spalding spielt einen Baß, der sich definitiv auf Augenhöhe mit meinen großen Vorbildern befindet, ob sie nun Dave Holland, Gerry Peacock oder Marc Johnson heißen. Dabei hat sie trotzdem - mit 24! - einen eigenständigen Stil, den ich jederzeit wiedererkennen würde. - Der Gesang ist technisch ebenfalls auf denkbar höchstem Niveau. Sie kann komplexe Linien - mit großen Sprüngen oder heiklen Tensions - in hohem Tempo und makelloser Intonation abfeuern, ohne daß es auch in den hohen Registern im mindesten bemüht oder unsicher klingt. Die Stimme selber ist eher unauffällig - ein klarer und offener Sopran, allerdings ohne Kanten oder Eigenheiten.

Meine einzige - allerdings grundlegende - Meckerei betrifft die Stilistik: das klingt alles wie aus dem Lehrbuch (wenn auch aus einem, das noch nicht verlegt war, als ich selber an die Uni ging). Jede Akkordwendung wie letztlich auch die rhythmischen Konzepte kennt man seit mittlerweile mehr als dreißig Jahren. Es ist kein Zufall, daß in diesem Zusammenhang der Name „Pat Metheny” fällt. Als dessen Debutalbum („Bright Size Live”) 1974 erschien, war er sogar noch jünger - gerade 20 (und hatte mit Jaco Pastorius einen E-Bassisten an der Hand, der stilprägend für das neue Instrument war wie sonst keiner). Es erschien zu einem Zeitpunkt, als unter dem ECM-Label zahlreiche ähnliche Alben veröffentlicht wurden, auf denen eine ganze Reihe von Musikern ihre Versuche dokumentierten, einen eigenen Weg zwischen Jazzrock und Freejazz zu finden. - Damals wurden letztlich all jene Konzepte bereits erprobt, an die Spalding heute anknüpft.

Man verstehe mich nicht falsch: das ist ein großartiges Album - nur dokumentiert es letztlich die Verwandlung eines Experiments in die vorherrschende Lehrmeinung an den Universitäten (den Plural kann man, wenn es um Berkley geht, ruhig verwenden: was sich dort durchsetzt, wird in kürzester Zeit auch überall anders zum Standard). Wo ich vor mehr als zwanzig Jahren noch mit Dozenten konfrontiert war, die bei Hard- und Bebop stecken geblieben waren, scheinen heute jene Musiker den Lehrbetrieb zu dominieren, die vor dreißig Jahren echtes Neuland betraten. Das ist zwar nicht wirklich verwunderlich, für mich jedoch neu - und letztlich eine völlig verblüffende Erkenntnis.

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