8.2.2009

Musik & Form (11) - Programmmusik

(Themenanfang)

Auch in der Instrumentalmusik finden sich Ansätze, außermusikalische Ideen formbildend in Szene zu setzen.

Dies beginnt mit der Imitation von akustischen Ereignissen, von Vogelstimmen etwa oder dem Rauschen eines Bachs. Imitation hat eine lange Tradition; sie findet sich in sämtlichen Epochen der Musikgeschichte, seit es Notenschrift gibt, und taucht auch in aktueller Musik („Pop” wie „Kunstmusik”) immer wieder auf.

Dem verwandt ist das - ähnlich weit verbreitete - Zitat. Dabei wird Musik - oder ein Element oder Teilbereich - zitiert, die einem bestimmten Funktionszusammenhang entstammt und mit diesem eine assoziative Verbindung herstellt, ein Marsch- oder Tanzrhythmus etwa, oder auch der abstrakte Gestus eines Ragtime (in Karl Amadeus Hartmanns 1. Sinfonie).

Drittens findet sich der Versuch, Analogien zwischen Außenwelt und Musik zu bilden. Wenn die Musik sich wild bewegt, kann dieses „wild bewegte” weg von der Musik führen und auf etwas anderes „zeigen”, eine wild bewegte Menschenmasse etwa (Bach, Matthäus-Passion). Haydn führt in der Einleitung zur »Schöpfung« die Welt im ursprünglichen Chaos vor, indem er eine völlig chaotische Harmonik verwendet. Mahler assoziiert den Schlag auf ein Perkussionsinstrument mit einem Schicksalsschlag (s.u.).

Der letzte - und wichtigste - Punkt findet sich in dem Versuch, ein außermusikalisches Programm zu verwenden, dem die musikalische Form dann folgt. Dieses Programm kann eine konkrete Begebenheit sein, Landleben etwa, über das ein Gewitter hinwegzieht (Beethovens 6.Sinfonie), Figuren eines Dramas, die zueinander in Beziehung gesetzt werden (Liszts »Faust«-Sinfonie), oder ein mit musikalischen Mitteln komplett nacherzähltes Drama (Schönbergs »Pelleas und Melisande«).

Die Imitation ist hier noch jene Form, die sich meistens problemlos und eindeutig zuzuordnen läßt. - Das Zitat ist schon an eine äußerliche Voraussetzung gebunden: man muß das Zitierte wie auch den Zusammenhang, in dem es üblicherweise erscheint, kennen - und beides ist von dem gesellschaftlichen Hintergrund abhängig, dem es entnommen wurde. Wenn Igor Strawinsky Zirkusmusik zitiert, wird es einem Hörer des 21.Jh., der mit einiger Wahrscheinlichkeit noch nie im Zirkus war, nur schwer möglich, die Anspielung ohne weiteres zu verstehen. - Analogien sind noch schwerer zu erkennen: in dem Haydn-Beispiel muß man sehr vertraut mit den Spielregeln sein, die damals für einen Komponisten galten, um erkennen zu können, daß Haydn hier diametral gegen sie verstößt.

Äußerst schwach schließlich ist die Gravitation, die ein außermusikalisches Programm auf die mit ihm verknüpfte Musik ausübt. Der Hörer muß, um die Verbindung nachzuvollziehen, nicht nur das Programm kennen, sondern auch noch die musikalischen Modelle entziffern, die eine Art abstrakte Analogie zu dessen Elementen bilden. Wenn man Schönbergs »Pelleas« hört, muß man nicht nur wissen, daß das Drama drei Hauptfiguren hat, die in einen Konflikt zueinander geraten, der schließlich für die weibliche Protagonistin tödlich endet; man muß auch herausfiltern, welche Leitmotive für welche Person stehen - und schließlich noch den Geistesblitz haben, daß im Tod der Frau keines der Leitmotive verwendet wird, weil die Musik ja ein „Verlöschen” darstellen will. Man muß letztlich eine komplette Analyse sowohl des Programms wie auch seines konkreten Niederschlags in den musikalischen Gestalten betreiben, bevor man dieses Werk hörend nachvollziehen - „verstehen” - kann.

Die Form der „Sinfonischen Dichtung” spielt seit den 30er Jahren des 19.Jh. eine immer gewichtigere Rolle. Franz Liszt und Richard Strauss haben ihre Orchesterwerke ausschließlich dieser Form gewidmet, im Frühwerk von Arnold Schönberg und Alexander Zemlinsky war es geradezu eine Selbstverständlichkeit, hier anzuknüpfen - und selbst Gustav Mahler hat lange gezaudert und mit diesen Ideen gespielt, bevor er das prinzipielle Problem erkannte.

In der Entstehungsgeschichte von Mahlers dritter Sinfonie kann man ablesen, wie ein Formprinzip, das für seine Generation selbstverständlich gegeben war, in Verruf geriet: die ursprünglichen programmatischen Titel wurden noch vor der Drucklegung zurückgezogen, weil Mahler zugeben mußte, daß es durchaus Alternativen zu den Überschriften geben könnte - daß das Programm letztlich beliebig ist.

Trotzdem greift Mahler auch später immer wieder auf programmatische Ideen zurück. Im Verlauf des letzten Satzes der 6. Sinfonie gibt es drei mächtige „Schläge” von einem eigens konstruierten Schlaginstrument, die Schicksalsschläge vorstellen sollen, an denen der Held zuletzt zugrunde geht. Dabei ist der letzte Schlag vergleichsweise leise - zum Schluß braucht es nicht mehr viel, um den letzte Widerstand der Hauptgestalt zu brechen. Bei der Uraufführung hat Richard Strauss verwundert gefragt, warum da denn so eklatant gegen den Geist des dramatischen Aufbaus verstoßen werde, der doch eine stetige Steigerung bis zum Ende fordert. Alma Mahler schreibt in ihren Memoiren, Strauss habe dieses Werk „nicht verstanden”. Das hat er wohl wirklich nicht - wie auch.

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