20.10.2008

Der Weg in die Moderne: Musik zwischen Wagner und Hitler (1)

(Themenanfang)

Die fünfzig Jahre zwischen dem Tod Richard Wagners (1883) und der Machtergreifung Hitlers (1933) markieren einen für die Musikgeschichte des Abendlandes außerordentlich fruchtbaren und faszinierende Zeitraum - sowohl was die Zahl und Qualität der in ihm entstandenen Werke angeht, als auch in der Bedeutung, die Musik für das gesellschaftliche Leben in ihr spielte.

Es gab zahllose Komponisten, die für eine ständig wachsende Zahl von Opernhäusern und Konzertsälen die Musik zu schreiben hatten, und die in spezialisierten Schulen und Konservatorien schon in jungen Jahren eine Ausbildung erhielten, die ohne Beispiel blieb. Brahms, Strauß, Schreker, Korngold, und viele andere waren die Popstars ihrer Epoche: weltberühmt, hoch geachtet, und ebenso hoch bezahlt.

In jeder Familie der gehobenen Kreise gehörte es zum guten Ton, daß zumindest die Töchter Klavier spielen und singen konnten; daß man womöglich einen Salon unterhielt, in dem die Aufführung von Musik eine große Rolle spielte. - Es gab einen Absatzmarkt für den Ausdruck von Noten, der groß genug war, um einer ganzen Reihe von Verlagshäusern problemlos die Existenz zu ermöglichen. - Das persönliche Erscheinen in der für Jahre reservierten Loge anläßlich der Premiere der neuesten Oper war für jeden, der in „der Gesellschaft” etwas gelten wollte, verpflichtend, und zwar – zum nur hinter vorgehaltener Hand zugegebenen Leid – auch für jene, die mit Musik gar nichts anzufangen wußten.

Diese Euphorie konnte nicht einmal der erste Weltkrieg dämpfen. Selbst an dessen Ende, als auch die Zivilbevölkerung ernsthaft unter seinen Folgen zu leiden hatte, wurden mit großem Aufwand Konzerte veranstaltet und Opern uraufgeführt.

Mit anderen Worten: die Musik des Bürgertums hatte eine Bedeutung für die (gehobene) Gesellschaft, von der man sich heute überhaupt keine Begriffe mehr machen kann – trotz der heutigen Allgegenwart von Musik via Radio und CD, und trotz dem Rummel um Pop- und Rockstars.

Dabei – und darin liegt die eigentliche Pointe – muß man sich klar machen, daß es sich hier um Musik handelt, die höchsten künstlerischen Ansprüchen gerecht wird. Das wird ein wenig dadurch verschleiert, daß es nur eine recht geringe Zahl von Werken aus der Post-Wagner-Ära in das Repertoire unserer Tage geschafft hat. Wenn man sich die Mühe macht, gezielt auch bei den „kleinen Meistern” zu suchen, kommt man aber aus dem Staunen nicht heraus. Wo im Barock (auf den der Begriff der „Kleinen Meister” eigentlich gemünzt ist) der schieren Masse der Produktion ein steiles Qualitätsgefälle entspricht, scheint hier das Gesetz, daß Masse mit mangelnder Qualität einhergeht, fast außer Kraft gesetzt.

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