25.9.2008

Vernunft und Interesse

Was haben die Debatten über den Nichtraucherschutz, die Frauenrechte, und die Motorradraser miteinander gemeinsam? Inhaltlich natürlich nicht das mindeste. – Es verbindet sie jedoch auf der Metaebene einiges: sie werden von Interessen gelenkt. Deshalb werden sie in einer Schärfe geführt, die stets die Ebene von persönlichen Anfeindungen erreicht – und deshalb gibt es sie schon ewig, ohne Sicht auf ein Ende.

Das klassische Beispiel ist ein viertes: der Konflikt zwischen Arbeitern und Fabrikbesitzern über den angemessenen Lohn. Wenn sich diese beiden Parteien streiten, geht es immer wieder um hehre Begriffe wie "ökonomische Vernunft" und "Gerechtigkeit"; es werden von beiden Seiten unwiderlegbare Fakten aufgezählt, die den jeweiligen Standpunkt klar belegen; und man kommt auf der Ebene der Vernunft zwangsläufig zu keiner Einigung. Tarifkonflikte werden durch einen Kräftevergleich entschieden (das heißt nicht zwangsläufig: Streik); es hat – meines Wissens – noch nie einen Fall gegeben, wo die eine Seite die andere durch Vernunftgründe überzeugt hätte. Wie auch: beide Seiten haben nämlich recht. Sie argumentieren nur komplett aneinander vorbei und reden von zwei völlig unterschiedlichen Dingen.

Wie der Fabrikbesitzer seine Fabrik funktionsfähig halten will, und daher die Kosten niedrig halten muß, will der Arbeiter sich selbst und seine Familie über Wasser halten, und kämpft daher für höhere Löhne. Eigentlich ist das eine Binse – wenn man sich die Diskussionen zwischen Arbeitnehmern und -gebern in einer Talkshow ansieht, hört sich das aber regelmäßig so an, als wenn dies ein Gesichtspunkt sei, von dem niemand zuvor je gehört hätte: daß man es nämlich nicht mit zwei konträren Meinungen zu tun hat, von denen nur eine richtig sein kann – sondern mit unterschiedlichen Interessen

Ganz ähnlich läuft das Spiel bei den drei oben genannten Themen. Es streiten sich Raucher, die ein Interesse daran haben, wo immer möglich rauchen zu dürfen, mit Nichtrauchern, die sich dadurch belästigt sehen; Frauen haben eine andere Vorstellung vom Miteinander der Geschlechter als Männer; und Auto- und Motorradfahrer machen sich gegenseitig für die schweren Unfälle mit tödlichem Ausgang verantwortlich, um das eigene Tun möglichst nicht in Frage stellen zu müssen.

Die Tatsache, daß hier in der Sache grundsätzlich niemand recht haben kann, ist so unglaublich trivial, daß man erklären müßte, warum sie ständig verdrängt wird.

Ungeordnete Anmerkungen zum Thema:

  • Im Falle eines Interessenkonflikts hilft es überhaupt nicht, sich in die Situation seines Gegenüber hineinzudenken – das kann unmöglich gelingen. Man bewegt sich hier in einem Terrain, das dem Verstand unzugänglich ist.

  • Man kann sich zumindest die Metaebene vor Augen führen, wenn man die beiden Seiten irgend eines Konflikts dieser Kategorie aus persönlicher Erfahrung kennt. – Ich fahre sowohl Auto, als auch Motorrad, so daß ich ganz gut verstehe, worum der Konflikt hier geht – obwohl ich als Mopedfan und Autohasser dennoch klar Partei bin. Ich habe zwanzig Jahre Kette geraucht, und bin seit zehn Jahren Niktotinfrei, und habe deshalb für meine Gäste einen Aschenbecher im Wohnzimnmerschrank – obwohl ich es sehr begrüße, wenn der unbenutzt bleibt. – Trotzdem habe ich nicht den Hauch einer Chance, im Streit zwischen den Geschlechtern den Schiedsrichter zu geben.

  • Debatten innerhalb einer Interessengruppe unterscheiden sich grundsätzlich von jenen zwischen diesen Gruppen. Frauen (oder Männer) debattieren unter sich über das Verhältnis zwischen den Geschlechtern völlig anders, als dies gemischte Gruppen tun. Im letzten Fall verlaufen die Frontlinien aber ebenso ungeordnet und unüberschaubar, wie in einer Debatte zwischen Arbeitgebern (unter ihnen z.B. ein Mittelständler und ein angestellter Manager einer AG) und -nehmern (hier z.B. ein Fließbandarbeiter mit drei Kindern, und der unverheiratete Vorsitzende des Betriebsrats eines Weltkonzerns).

  • Es hat nichts im mindesten Verwerfliches, seine Interessen zu vertreten. Man sollte dann aber bloß nicht so tun, als ob sich Vernunft und Moral nur auf der eigenen Seite finden.

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