20.8.2008

Körperwissen (7)

(Themenanfang)

Vor kurzer Zeit hatte ich behauptet, daß es einen prinzipiellen Unterschied mache, ob man nach einem Erlebnis des eigenen Körpers sucht, oder sich in einen Rausch begibt, bei dem der Körper verschwinden soll. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher, ob man es hier nicht letztlich mit zwei Enden ein und desselben Phänomens zu tun hat.

Ein wichtiger Aspekt beim Motorradfahren ist das Erlebnis des eigenen Körpers, der - vom Werkzeug der Maschine "verlängert" - den Fliehkräften ausgesetzt und dadurch in seiner Schwere und Beharrlichkeit spürbar wird.

Im Drogenrausch tritt der Körper hingegen aus dem Fokus der Aufmerksamkeit - er wird sogar zum Störfaktor, etwa wenn man zum Klo muß, obwohl man sich nicht rühren kann.

Beiden Zuständen ist aber gemeinsam, daß in ihnen die abwägende Funktion der Vernunft abhanden kommt. Es gibt kein "Ich" mehr, daß sich mit Kritik und Reflektion - womöglich über Fehler und Nachteile der eigenen Person - zu Wort meldet; es gibt nur noch triebgelenkte Impulse, ein Gefühl des Auflösens des Ichs und der Einheit mit der Welt.

Schopenhauer unterscheidet zwischen "Verstand" und "Vernunft". Jene Ebene, auf der Menschen sich intuitiv entscheiden, ist jene des Verstandes, über die auch die Tiere verfügen:

Wir finden oft die Verstandesäußerungen der Thiere. [Uns] überrascht [...] die Sagacität jenes Elephanten, der, nachdem er [...] schon über viele Brücken gegangen war, sich einst weigert, eine zu betreten, über welche er doch wie sonst den übrigen Zug von Menschen und Pferden gehn sieht, weil sie ihm für sein Gewicht zu leicht gebaut scheint [...].

(Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, 1.Band, 1.Buch, §6)

Der Begriff Bernt Spiegels von der "Tiefenperson" klingt moderner, benennt aber im Kern dasselbe: gemeint ist auch hier jene Ebene, auf der sich Gewißheit über eine Situation unvermittelt und unbewußt einstellt (sie ist, in Spiegels Terminologie, "nicht bewußtseinpflichtig").

Letztlich findet sich dann doch ein diametraler Gegensatz zwischen Rausch- und Körpererfahrung: zwar tritt jeweils die "Vernunft" zurück; wo der Haschischkonsument aber auch den Verstand und gewissermaßen den Bereich des Lebendigen zurückläßt, bleibt der Marathonläufer immer noch in einer Welt, der es um Entscheidungen zu tun ist, selbst wenn diese nicht mehr rational abgewogen, sondern intuitiv getroffen werden. Im Rausch verschwindet selbst die Zeit; im Körpererlebnis wird sie zurechtgebogen und intensiviert.

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