Writing things we can no longer read

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Richtig interessant wird es im letzten Drittel des Vortrags, wenn es um „Algo Trading” und den Kampf um den Zeitvorteil im Bereich von wenigen Millisekunden geht.

Ich kann nur schwer abschätzen, wie glaubwürdig die Thesen sind (mein kurzes Googeln nach „Kevin Slavin” gab da keinen Hinweis) – plausibel klingt das aber schon.

In den Kommentaren bei YouTube bringt man es auf den Punkt: „humans are outdated, the economy doesn't need them anymore” - wobei es fast schon rührend ist, daß man zu dieser Erkenntnis jetzt erst kommt.

(via ScienceBlogs)

Nachtrag: Auch das Rhetorik-Blog verlinkt das Video – ein vorsichtiger Hinweis, daß man es vielleicht ernster nehmen sollte, als ich zunächst dachte.

Nachtrag 2: Schlomo verweist auf einen Artikel im „Standard”, der das Thema „Algo-Trading” aufnimmt.

Nachtrag 3: Mehr Googeln führt mich zu den Seiten von TED, für die Slavin seinen Vortrag gehalten hat.



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Schlomo schreibt:

Die Maschinen haben nicht nur ein Gedächtnis, sie stellen auch selbst Differenzen her, das heißt im Grunde genommen: sie stellen Welt her.

Die Maschinen heute sind längst keine mechanischen Konstruktionen mehr, sondern Computer – „universelle Maschinen“, die von Programmen gesteuert werden. Programme sind letztlich sprachliche Konstrukte – und es sind immer Menschen, die sie sprechen oder schreiben. Es gibt aber schon Übergänge: wenn man ein Programm schreibt, schraubt man nicht an einem Motorrad (und macht sich die Hände dreckig), und wenn man keine Maschinensprache („Assembler“) mehr „spricht“, sondern objektorientierte „Patterns“ verwendet, ändert man nicht nur graduell den Bezug zur Maschine, sondern ordnet sich ihr – auf eine subtile Art und Weise – letztlich unter.

Diese Übergänge kannten aber schon unsere Eltern: als man in den 60ern ein Auto kaufte, mußte man zumindest prinzipiell wissen, wie es funktioniert. Heute braucht man solches Basiswissen längst nicht mehr; man muß nicht einmal mehr wissen, wie man die Gänge wechselt. Ähnliches gilt für die Welt im Zeitalter des Internet in Bezug auf das Laptop, das die IBM-Mainframes schon lange ersetzt.

Was ich sagen will: die allgemeine Verfügbarkeit über ein Auto stellte einst eine Differenz her, die die Welt veränderte. Nichts anderes gilt für die universellen Maschinen unserer Tage – unbestritten: auf einer durchaus sehr neuen – wenn auch allbekannten, weil kontigenten – Ebene der Wirklichkeit.

(Ich verweise auf meine Notizen zu technologischen Neuerungen.)



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Mal ein paar Anmerkungen aus der Praxis.

Wenn man am Computer Algorithmen entwickelt, schraubt man ab einem gewissen Grad der Komplexität an etwas herum, was man als Programmierer selbst nicht mehr (komplett) versteht. Man verliert irgendwann den Überblick über das Zusammenspiel der Komponenten. Dann blickt man nur noch auf den Output. Wenn daran etwas nicht stimmt, probiert man letztlich nur noch: man hat einen Verdacht, was schief läuft, ändert ein paar Zeilen Code, und sieht nach, ob das etwas verbessert hat. Es gibt Grenzfälle: man blickt auf so absurde Ergebnisse, daß die nur an einem Bug liegen können; den kann man im Debugger durch Beobachten des Programmablaufs in Zeitlupe finden und beseitigen. Wenn das zu lösende Problem komplex genug ist, gibt es aber ständig Fälle, wo man gewissermaßen jenseits der Logik des Codes operiert. Ich „weiß“ beispielsweise, daß die Darstellung einer bestimmten rhythmischen Figur „falsch“ ist, ich kenne aber nicht die Ursache, warum das Programm hier versagt. Es gibt da auch gar keine eindeutige Antwort – das ist dann kein Bug, sondern meine Unfähigkeit, das zugrunde liegende Problem soweit zu abstrahieren, daß ich es codieren kann. Das weiß nicht der Computer, sondern allein „ich“.

Algorithmen bei der Steuerung des Autopiloten im Flugzeug befinden sich auf diesem Level von Komplexität – deshalb gibt es dort mehrere Programme, die von unterschiedlichen Teams entwickelt wurden, und die unterschiedlichen algorithmischen Ansätzen folgen. Wenn deren Output – aus welchen Gründen auch immer – nicht übereinstimmt, muß der Pilot übernehmen.

Algotrading findet noch auf einem ganz anderen Level statt – Gerald Braunbergers Hinweis beim Weissgarnix, daß man es hier oft mit ganz kleinen Teams zu tun hat, die sich vor jeder Öffentlichkeit scheuen, spricht hier Bände.

„Writing things we can no longer read“, heißt es im Vortrag von Kevin Slavin. Genau das ist hier das Problem.



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Das FBI schlug noch am Flughafen zu: Sergey Aleynikow war kaum aus der Maschine gestiegen, als die Bundespolizisten dem damals 39-Jährigen am 3. Juli 2009 die Handschellen anlegten. Über Wochen hatten die Fahnder den IT-Spezialisten beobachtet. Der Ex-Mitarbeiter von Goldman Sachs hatte dem Geldhaus einen Quellcode für den automatisierten Börsenhandel gestohlen – das Hirn einer komplexen Software, mit der sich an den Finanzmärkten weltweit Milliarden verdienen lassen. Acht Jahre muss Aleynikow dafür ins Gefängnis.

Der spektakuläre, hart bestrafte Datenklau macht deutlich, wie wichtig automatisierte Computerprogramme an den Finanzmärkten geworden sind. Sie sind heute die wichtigsten Akteure auf den Finanzmärkten. In New York, dem bedeutendsten Börsenplatz der Welt, werden heute mehr als 70 Prozent der Aktien von Rechnern bewegt.

Der Artikel in der ZEIT verharmlost hier maßlos, auch wenn zumindest das Gewicht benannt wird, das der HFT-Handel mittlerweile einnimmt: 70 Prozent der Transfers an den Börsen weltweit (es geht um über zwei Billionen Dollar – täglich!) werden von Computerprogrammen abgewickelt, die kein Mensch mehr kontrolliert, ja kontrollieren könnte.

Ich finde bei Google wenig, wie diese „Dark Pools" funktionieren. Gerald Braunberger hatte im Blog von Thomas Strobl (das mittlerweile offline ist) darauf hingewiesen, daß man es hier mit sehr kleinen Teams zu tun hat. Meine eigene Erfahrung bei der Entwicklung von Software führt zu einem Horrorgemälde: eine Handvoll begabter, an den Folgen ihres Tuns nicht weiter interessierte Gruppe von Hackern schreibt Software, die es einigen wenigen Managern erlaubt, mehr als nur gut damit zu verdienen. Ich kann mir leicht vorstellen, daß hier eine Crew von vielleicht zwei oder drei Programmieren ausreicht, um die Algorithmen zum Laufen zu bringen. Da fehlt dann nur noch ein Investor, der über genug Geld verfügt, um die Infrastruktur zu schaffen – und der dürfte ohne weiteres zu finden sein angesichts der Renditen, die sich in diesem Geschäft verwirklichen lassen.

Verschwörungstheorie? Ganz bestimmt. Man weiß sehr wenig, wie HFT konkret funktioniert, jenseits der Tatsache, daß dort richtig Geld bewegt wird. Ich hätte aber schon die eine oder andere Idee, wie eine Heuristik aussehen könnte, die von Kursschwankungen von beliebigen Assets in Echtzeit profitiert. Ich bräuchte noch die Daten und einen C++-Compiler (und, natürlich, die Abwesenheit eines Gewissens für die Folgen meines Tuns).



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