30.10.2008

Feist - Let It Die

Leslie Feist, Jahrgang 1976, Sängerin und Gitarristin, ist kürzlich durch den Werbespot für Apples iPod-Nano bekannt geworden („1-2-3-4”) – dabei segeln ihre CDs unter dem „Indie”-Label, und sind tatsächlich auf eine sehr spezielle Weise vom Mainstream weit entfernt.

Da ist zunächst die starke Reduktion der Arrangements, die manchmal auf eine einzelne Gitarre beschränkt sind, die mit minimalistischen Einwürfen umgeben wird – einem Xylophon etwa, das eine halbe Phrase synchron mit der Stimme geht, oder einer zweiten Gitarre, die zunächst gar nicht recht wahrnehmbar ist. Gelegentlich kommt das auch mit einer breiteren Besetzung daher – dann aber immer so, daß es gerade noch reicht, um das Genre zu erkennen, dem das Stück zugerechnet werden will. So ist „Inside Out” eine veritable Disco-Nummer mit allen benötigten Zutaten – einer durchbretternden Bassdrum auf 1 und 3, Synthi-Bläsern, die stark nach DX-7 klingen, und einem Chor ala Bonney-M im Refrain – aber eben auch keiner mehr. „Secret Heart” (einer meiner Favoriten) zitiert Reggae – und auch das nur mit jenen Stilelementen, die es unbedingt braucht. Das geht so weit, daß die erste Strophe mit Stimme, Bass und einem beim besten Willen nicht weiter reduzierbaren Schlagzeug auskommt. Dem Faß die Krone setzt „Tout Doucement” auf: das ist ein Rumba im Stil der französischen Chansons, der mit einem Klavier beginnt, das den Rumba soweit herunterfährt, daß dem Bass (1+3) gerade ein Ton auf der 2+4 entgegen steht.

Zu dieser Ökonomie der Mittel paßt die Art, in der Feist ihre Stimme einsetzt, die (ungeschult) gelegentlich in der Intonation wegrutscht, was man gerade in den (zahlreichen) leise gesungenen Passagen wahrnehmen kann[1]. Das hindert Feist aber nicht, sich an technisch durchaus anspruchsvollen Linien zu versuchen. Dieser Gegensatz zwischen unretouchierter[2] „Unperfektion” auf der einen und Virtuosentum auf der anderen Seite ist im Kontext dieser Musik außerordentlich wirkungsvoll, und unterstreicht noch deren Ökonomie der Mittel.

Wenn da nur reduziert und gespart würde, wäre das im Resultat eher langweilig. Der Witz ist, daß praktisch kein formaler Teil wörtlich wiederholt wird. Jede Strophe und jeder Refrain bieten etwas, was völlig neu ist, und meist zuvor noch nicht einmal angedeutet wurde – sei es, daß ein neues Instrument dazu kommt, oder (wie in „When I was a Young Girl”) die Solostimme erst in der zweiten Strophe vom Baß, dann endlich von Harmonien begleitet wird.

Diese Musik ist geprägt von einem Eklektizismus, der die Vorbilder nicht direkt zitiert, sie aber auch keinesfalls ironisiert: das läßt sich eher als Dekonstruktivismus beschreiben, bei dem dem Original nicht nur das Fell abgezogen wird, sondern noch die einzelnen Knochen nebeneinander gelegt werden, um diese hinterher ganz liebevoll zu einem neuen Gerippe zusammenzusetzen.

Das Krux der heutigen Popmusik ist ja, daß sie nur noch zitieren kann. Wenn sie das wörtlich tut, kommt jener Kram heraus, den man ständig im Radio hört, und bei dem man nicht mehr weiß, ob man es mit den Hits der Siebziger oder denen des neuen Jahrtausends zu tun hat. Wenn man versuchen würde, über solche Zitate mit den Mitteln der Ironie herzufallen, käme man zu gar keiner Musik – deshalb tut das auch keiner.

Feist schlägt hier einen Weg vor, bei dem zwar auch keine Neudefinition des Pop herauskommt, der aber zu Musik führt, die man zumindest so noch nicht gehört hat – und das ist gar keine so schlechte Leistung.

(Man kann in das Album bei lastfm reinhören; zur Fansite; und bei Plattentest gibt es noch ein paar Anmerkungen zu dem Album, die meine Sicht in einer anderen Perspektive spiegeln.)

(Die auf dem Booklet abgedruckten Texte sind - obwohl ich noch keine Brille brauche (oder jetzt doch?) - schlicht nicht lesbar; Abhilfe findet man bei magistrix.)

  1. [1] "Ungeschult" heiß nicht "schlecht" oder "nicht gekonnt" - jedenfalls nicht zwangsläufig, und hier ganz bestimmt nicht.
  2. [2] Es gibt mittlerweile nicht nur mit Melodyn oder Autotune Tools, mit denen sich im Studio noch der schlimmsten Inkontinenz in Sachen Intonation nachhelfen läßt - das hat man hier natürlich nicht nötig; im Gegenteil: man macht sich davon frei.

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