17.4.2008

Klang & Sound (4)

(Themenanfang)

Klang läßt sich schwer objektivieren. Warum man – als Beispiel – eine Stimme schöner findet als eine andere, läßt sich kaum begründen. Man kann allenfalls technische Begriffe wie Sicherheit der Intonation, Tonumfang, gleichmäßige Durchschlagskraft über den gesamten Tonumfang u.ä. anführen, und hat dabei aber noch kein Wort über die „Schönheit” einer Stimme gesagt oder das „Berührtsein” durch sie.

Dennoch scheinen objektive Kriterien zu existieren, die über die Qualität von Klang Auskunft geben, denn es ist bemerkenswert, wie einig sich in der Regel Hörer sind, wenn sie ihr Urteil abgeben (ich rede jetzt von Hörern mit einer musikalischen Ausbildung und mit vergleichbarer Erfahrung).

Ich versuche es mit einem Umweg: vor einiger Zeit fand im Usenet eine (erbitterte) Debatte statt, in der es um die Zuordnung von Johannes Brahms als „Traditionalisten” oder „Fortschrittlichen” ging. Die eine Fraktion argumentierte, daß dem „Gefühl” nach Brahms eher an Beethoven erinnere, und sich gegen Wagner oder Liszt als nicht sonderlich zukunftsorientiert erweise. Die andere (größere) Fraktion analysierte Brahms Technik, aus winzigen Motiven ganze Sätze, ja ganze mehrsätzige Werke abzuleiten, als ein Verfahren, auf das auch Arnold Schönberg in seiner Rede „Brahms, der Fortschrittliche” verweise.

Nun kommt man in einer Usenet–Diskussion nicht sonderlich weit, wenn man sich auf sein „Gefühl” beruft – man wird da mit wenigen Handgriffen auseinander genommen und nicht wieder zusammengesetzt. Trotzdem war bemerkenswert, wie sehr auf diesem „gefühlten” Klassizismus Brahms gepocht wurde – einer der Teilnehmer konnte einfach nicht begreifen, warum ihn die anderen nicht verstehen, obwohl er keine Argumente mehr hatte. – Ich glaube, daß ich diesen Dissens mittlerweile auf seine Begriffe bringen kann: die eine Hälfte diskutierte über Strukturen, die andere über Klang.

Wenn man sich eine Klaviersonate von Beethoven anhört, danach eine von Brahms, dann ist der Sound recht ähnlich, beides ist „klassisches Klavier”, wie selbst ein unbewanderter Hörer sofort assoziieren würde. Wenn ich hier eine von Wagner dagegenstellen will, stecke ich in der Falle – Wagner hat eben nichts für Klavier oder irgend eine andere kammermusikalische Besetzungen geschrieben. Der typische Wagnersound ist ohne großes Orchester überhaupt nicht denkbar, er braucht die tremolierenden Violinen, Harfen, und tiefen Hörner (um das mal auf sein Klischee zu reduzieren).

Das Gegenexempel kann man übrigens auch finden: H.W.Henze hat die Wesendonck–Lieder Wagners neu instrumentiert[1]. Das ist Note für Note Wagner – und hat mit dem überhaupt nichts zu tun. Statt spätromantischem Riesenorchester begegnet man einem von zahllosen Schlaginstrumenten, Xylophonen und Marimbaphonen dominierten Orchester, welches den Hörer unversehens in die Klangwelt des ausgehenden 20. Jahrhunderts buxiert und kaum eine Assoziation mit Tristan–Sehnsucht weckt, für die diese Lieder ja Vorversuche anstellen.

Struktur ist die Seite der Musik, Klang die Seite ihrer Wahrnehmung, und wenn man beides in einen Topf rührt, gerät man in Streit, weil man aneinander vorbeiredet. Das ist natürlich kein Vorrecht von Musikenthusiasten – und damit meine ich jetzt nicht die Lust, den anderen nicht verstehen zu wollen, sondern das Vorrecht auf den Fehler, die Sache nicht von ihrer Wahrnehmung zu unterscheiden.

  1. [1] Keine CD–Referenz, leider. Ich habe eine Aufführung irgendwann im Fernsehen gesehen. Nachtrag: Mittlerweile habe ich doch noch eine Aufnahme gefunden.
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